25. Sonntag im Jahreskreis – Mir Rechenschaft geben

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Das Zittern vor der Rechenschaft

Der Online-Duden definiert “Rechenschaft“ als „nähere Umstände oder Gründe anführende Auskunft, die man jemandem über etwas gibt, wofür man verantwortlich ist“.[1]

Die Definition des Duden nennt alle Komponenten, die es i.d.R. unangenehm machen, Rechenschaft zu geben. Da ist die Rede von „jemandem“, einem Gegenüber, der irgendwie berechtigt ist, Auskunft zu bekommen; da ist die Rede von „über etwas“, das seitens des „Jemand“ hinterfragbar, anzweifelbar, ihm oder ihr nicht genügend zu sein scheint; da wird die „Verantwortlichkeit“ genannt, die bei der Person liegt, der Rechenschaft gibt und die er oder sie der anderen Person, dem „Jemand“, gegenüber schuldig ist; und da ist die Rede von „Umständen oder Gründen“, die zu diesem Tun oder zu jenem Unterlassen die Auskunft gebenden Menschen veranlasst haben.

Man muss von der Gutwilligkeit des „Jemand“ und dem Gelingen dessen, für das man verantwortlich ist, überzeugt sein, man muss ein entsprechendes selbstwirksames Auftreten haben, um überzeugt und gerne Rechenschaft zu geben. Eher geht das Geben von Rechenschaft Hand in Hand mit einem Zittern, sei es innen oder sei es außen, oder hier wie dort.

Ich nutze den Text des heutigen Evangeliums (in seiner Kurzform), um mir selbst gegenüber Rechenschaft über die „Verwaltung“ meines Lebens anzugeben, so, als sähe ich mit Christus gemeinsam auf mich und mein Leben: Der „Jemand“ bin ich selbst, das „über etwas“ ist die Weise, wie ich mein Leben lebe und gestalte; die „Verantwortlichkeit“ist darin begründet, dass mir mein Leben und die, die zu meinem Leben gehören, von Gott gegeben, anvertraut sind; und zu den „Umständen und Gründen“ gehört alles, was mich zum Tun und Lassen, um Reden und Schweigen, zum Hinnehmen und Ablehnen motiviert.

Zittern muss ich vor dieser Rechenschaft nur, wenn ich mich mit mir selbst oder wenn ich mich mit Christus in einer Art „Krieg“ befinde. Ansonsten ist dieses Ablegen von Rechenschaft ein Innehalten, ein Ausschau halten, eine Neuorientierung.

» Zu den wohl bekanntesten Aussprüchen des neuen Testamentes gehört das folgende Wort des Lukas-Evangeliums: ‚Kein Haussklave kann zweier Herren Diener sein [...] Ihr könnt nicht Gottes und des Mammons Knechte sein (16,13 vgl. Mt 6,24), - ein Wort von unbestechlicher Entschiedenheit, doch gänzlich quer zur Welt der ‚bürgerlichen Mitte‘, ein Sprengsatz an den Stützpfeilern sämtlicher Dome und Paläste, ein Entweder-Oder, dessen Radikalität nicht ohne weiteres verständlich ist.«
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 283.

„Leg Rechenschaft ab über Deine Verwaltung!“ (Lk 16,2)

Die lange Form des Evangeliums dieses Sonntages spiegelt dagegen dieses Zittern, diese „Feindschaft“ gut wider. Ein Verwalter wird erst von Dritten, dann von seinem Herrn beschuldigt, er verschleudere das Vermögen seines Herrn: „Was höre ich über Dich? Leg Rechenschaft ab über Deine Verwaltung. Denn Du kannst nicht länger mein Verwalter sein.“ (Lk 16,2).

Ich habe mich für die Meditation des Evangeliums für die Kurzform des Evangeliums entschlossen, die Geschichte des schlitzohrigen Verwalters war mir schlicht zu lang. Mir – und damit Ihnen, den Lesenden, soll der Anstoß genügen: „Leg Rechenschaft ab über Deine Verwaltung!“

Und um es vorwegzusagen: Ich lasse mir diesen Impuls, diesen Anstoß zur Rechenschaft von Jesus, geben, mit dem ich in Frieden bin, als Standortbestimmung, von dem aus ich weitergehen will. Und als Unterscheidungskriterium nehme ich den letzten Satz aus dem Evangelium, in der Lang- wie in der Kurzfassung: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ (Lk 16,13). Oder anders: Wo wirtschafte, handle, denke ich so, dass es dem Leben dient (und dem, der mir das Leben gab) – und wo wirtschafte ich in meine eigene Tasche, auf Kosten und zu Lasten der anderen. Wo handle ich stagnierend, rückwärtsgewandt, und wo nach vorn schauend, „gottwärts“ will ich es nennen.

» Gott ganz zu lieben heißt, von aller Außenlenkung, Fremdbestimmung und Versklavung an die Welt der Dinge und der Zwecke frei zu werden. Doch gerade diese Freiheit wird in Jesu Augen durch den ‚Mammon‘ offenbar in einer Art bedroht, dass man sich prinzipiell entscheiden muss, woran man ‚glaubt‘ – worauf man seine Existenz zu gründen sucht: Gott oder Geld. Dazwischen muss man wählen. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 284.

Mein Lebenshaus – das, was mir gegeben und meiner Verwaltung anvertraut ist

Was in einer stillen Stunde, einem Wüstentag, einem Meditationswochenende oder einem Exerzitienkurs in die Betrachtung genommen werden kann, worüber ich mir und dem, der es mir gegeben hat, Rechenschaft geben kann – diesen Gegenstand der Betrachtung“ nehme ich gerne aus der Psychologie. Bei diesem Ruf zur Rechenschaft geht es um mich, um meine Identität, in meiner Selbst-Wahrnehmung (i.S.v. „wie sehe ich mich selbst?“) und in der mir entgegengebrachten Fremdwahrnehmung aus meiner Lebenswelt (i.S.v. „wie werde ich von anderen wahrgenommen?“). Der Westerwälder Philosoph und Psychologe Hilarion Petzold hat ein Modell der Identität und das Bild vom „Lebenshaus“.

Petzold entwickelt das Bild vom Lebenshaus, das auf fünf Säulen[2] ruht. Ich gebe mir zuerst einmal Rechenschaft über diese fünf Säulen, auf denen mein Leben ruht:

  • Arbeit und Leistung: Wie steht es um Anerkennung, Erfolgserlebnisse, „Tätig“-Sein?
  • Materielle Sicherheit: Wie steht es um meinen Lebensstandard, mein Konsumverhalten, meine finanzielle Absicherung?
  • Gesellschaft und Soziales: wie steht es um Familie, Partnerschaften, Freundschaften und alle weiteren sozialen Kontakte?
  • Körper und Gesundheit: Wie steht es um meine mentale und körperliche Gesundheit, meine Denkmuster und mein Bewerten von so vielem?
  • Werte und Sinne: Wie steht es um meine Spiritualität und um meine persönliche Lebensphilosophie?

Es geht weniger um ein Skalieren z.B. von 1-10, um ein Einsortieren auf einer nach oben offenen Skala. Es geht vielmehr darum, ob und wie diese Säulen mit dem Gott meines Lebens, mit Christus in Verbindung gebracht sind. Eugen Drewermann gibt einen guten Hinweis, wohin sich die Aufmerksamkeit richten kann: „Gott ganz zu lieben heißt, von aller Außenlenkung, Fremdbestimmung und Versklavung an die Welt der Dinge und der Zwecke frei zu werden. Doch gerade diese Freiheit wird in Jesu Augen durch den ‚Mammon‘ offenbar in einer Art bedroht, dass man sich prinzipiell entscheiden muss, woran man ‚glaubt‘ – worauf man seine Existenz zu gründen sucht: Gott oder Geld. Dazwischen muss man wählen.“[3]

Das wird gefragt sein in der Rechenschaft, das will ich mich zumindest fragen: Wie bringen ich die Säulen (und was zu ihnen gehört) in Verbindung, in Kontakt mit Gott – oder umgekehrt: wie steht es bei diesen Säulen um Außenlenkung, Fremdbestimmung und Versklavung an die Welt der Dinge und Zwecke in den Säulen meines Lebenshauses, m.a.W. wie stark sind sie dem Mammon anhängig? Wenn eine oder zwei Säulen krumm sind, hat es immer noch Bestand, das tröstet – und zeigt an, welchen Säulen ich mich zuwenden muss, damit das Lebenshaus (hoffentlich) dem Sturm standhält.

Ein ähnliches Raster für eine „Rechenschaft mir selbst gegenüber (und vielleicht darüber hinaus) liefert Der Anwalt und Coach Dieter Lutz mit seinen „Sieben Säulen der Lebensqualität“. Hier geht es um das Zusammenspiel von „Persönlicher Entwicklung“, „Gesundheit und Wellness“, „Beziehungen zu Menschen“, „Lebenssinn und Berufung“, „Alles, was das Herz erfreut“, „Vermögen und Finanzen“ und „Beruflicher Entwicklung“.[4] Auch diese „Säulen der Lebensqualität“ eignen sich für eine Rechenschaft mir selbst und meinem Gott gegenüber – natürlich ist es auch ein Gewinn, sich diese Rechenschaft in der Partner- , Freund- oder Gefährtenschaft einander zu geben und sich dabei zu korrigieren und zu bestärken.

» Das Bild vom „Haussklaven“ enthält [...] die tiefste Antwort auf das Rätselwesen unseres Daseins: Alles, was wir besitzen, sagt es, ist ein von Gott empfangenes und anvertrautes Gut, mit allem, was wir sind, stehen wir ganz in Gottes Hand. Der ‚Diener‘ dieses Gottes zu sein, das ist ein zur Daseinsform gewordenes Gebet. [...] Gott zu ‚wählen‘ und nicht seinen Widerspruch: den Götzen Mammon, ist deshalb identisch damit, dass wir Gott ‚haben‘ und ihm ‚vertrauen‘ wollen. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 290.

Gott zu Diensten sein – in Resonanz kommen

Zum Ende des Evangeliums hin spricht Lukas vom Sklaven, der niemals zwei Herren dienen kann, er werde den einen lieben und den anderen hassen, zu dem einen wird er halten und den anderen verachten, und so könne man auch nicht Gott dienen und zugleich dem Mammon. Eugen Drewermann stößt sich nicht am Bild vom Sklaven, im Gegenteil: „Das Bild vom „Haussklaven“ enthält […] die tiefste Antwort auf das Rätselwesen unseres Daseins: Alles, was wir besitzen, sagt es, ist ein von Gott empfangenes und anvertrautes Gut, mit allem, was wir sind, stehen wir ganz in Gottes Hand. Der ‚Diener‘ dieses Gottes zu sein, das ist ein zur Daseinsform gewordenes Gebet. […] Gott zu ‚wählen‘ und nicht seinen Widerspruch: den Götzen Mammon, ist deshalb identisch damit, dass wir Gott ‚haben‘ und ihm ‚vertrauen‘ wollen.“[5]

In Hartmut Rosas Resonanztheorie hieße eine solche Selbst-Rechenschaft, alle drei Resonanzachsen auszuloten: die horizontale Achse im Blick auf Umgang mit anderen Menschen, die diagonale Achse im Blick auf alles Gegenständliche und Nicht-Personale, und die vertikale Achse im Blick auf Gott auf das Gespräch mit Ihm und der Rechenschaft, die ich ihm geben will. Alle und alles sind von Gott empfangene Gute bzw. Güter – mit diesem Menschen- und Gottesbild sind wir als Christen unterwegs. Der Klang, die Stimmung, die Emotionen und die Schritte, zu denen mich die verschiedenen Resonanzen führen wollen, sind ein gutes Maß darüber, wie ich diesen Guten und diesen Gütern gegenüberstehe, wie ich sie „verwalte“ und wie sie meinem und ich ihrem Leben diese.

Vor dieser Rechenschaft muss ich nicht zittern, nicht wegen mir und meinen „Leistungen“, sondern wegen dem, der ins Leben gerufen hat und immer neu ins Leben ruft.

Amen.

Köln 15.09.2022
Harald Klein

[1] [vgl. online] https://www.duden.de/rechtschreibung/Rechenschaft [15.09.2022]

[2] Die Beschreibung der fünf Säulen habe ich von Ben Münster übernommen; vgl. [online] https://dailymentor.de/psychologie/5-saeulen-der-identitaet/ [15.09.2022]

[3] Drewermann, Eugen (2009): Das Lukas-Evangelium. Bilder erinnerter Zukunft, Bd.2, Düsseldorf, 284.

[4] Sie finden Eine gute Broschüre, die als Bezugsschrift für eine Meditation des eigenen Lebens dienen kann, auf [online] https://www.erc.de/wp-content/uploads/2021/07/E-Book-DIN-A-5-Die-7-Saeulen-des-Lebens-2021-08.pdf [15.09.2022].

[5] Drewermann, Eugen (2009): Das Lukas-Evangelium. Bilder erinnerter Zukunft, Bd.2, Düsseldorf, 290.