30. Sonntag im Jahreskreis – Die drei Fragen: Will ich das?

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Der erste Einstieg: Kees de Kort – Sehen und Hören

Eine der bekanntesten neutestamentlichen Erzählungen setzt der Evangelist Markus unmittelbar vor den Einzug Jesu nach Jerusalem. Die Heilung den blinden Bettlers Bartimäus in Jericho bildet den Abschluss der Erzählungen über den pilgernden Jesus.

Allein schon der Name des blinden Bettlers, des Bartimäus, triggert bei mir zwei Erinnerungen, die ganz gegenwärtig werden. Ich sehe die Bilder des holländischen Malers Kees de Kort, sehe in der Kinderbibel den Bartimäus, den Zachäus, den verlorenen Sohn und den barmherzigen Samariter – und sollten Sie die Figuren und Bilder nicht mehr oder noch nicht kennen, googlen Sie mal den Namen des Malers und der Figuren, es lohnt sich!

Ich sehe aber nicht nur die Figuren, ich höre die Schreie des Bartimäus: „Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir“ – sie bilden den Ursprung des kontemplativen Atem- bzw. Herzensgebetes. Und ich höre die Frage Jesu: „Was willst du, dass ich Dir tue?“

Dieses Sehen, dieses Hören vermögen die Bilder von Kees de Kort noch heute bei mir auszulösen, wohl, weil ich die Bilder sicher schon seit meiner Kindheit kenne – ab 1967 erschienen die kleinen Bücher mit seinen Bildern unter Überschrift „Was uns die Bibel erzählt“.

» Gott nahe zu kommen, bedeutete für ihn [Jesus, H.K.], sich selber zurückgegeben zu werden. «
Drewermann, Eugen (2. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 2. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 148.

Der zweite Einstieg: Die drei Fragen

Ein zweites Bild hängt mir aus einigen Tagen im Allgäu noch nach. Auf einer Postkarte schaut eine weiße Eule den Betrachtenden an. Sie mahnt ihn weise: „Stell Dir immer diese drei Fragen: Will ich das? Will ich das? Will ich das?“

Ist schon verrückt, oder: Dreimal drei Worte, und die Betonung eines je anderen Wortes gibt der Frage einen je eigenen und anderen Sinn.

» Den Glauben an Gott verstand Jesus so, dass man aufhören konnte, Gedanken zu denken, die nicht die eigenen sind, und Absichten durchzuführen, die künstlich, von außen, dem Ich gegen seinen Willen eingeprägt wurden und sich nunmehr als fremde Geister gegen die eigene Person, gegen das eigene Denken, gegen das eigene Empfinden und Wollen richten. «
Drewermann, Eugen (2. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 2. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 148.

Die Vergegenwärtigung

Führen Sie die beiden Einstiege mal zusammen, und zwar als Vergegenwärtigung. Ein paar Impulse will ich Ihnen anbieten, die Sie die in gedachte Richtung frühen können.

Da ist das laute Schreien des Bartimäus, das „Hab Erbarmen mit mir!“ Manches Schreien mag laut sein, um Sie herum, vielleicht sogar in Ihnen selbst. Sie changieren, sind zugleich Bartimäus und heilender Jesus. Da ist der Freund, dessen Selbstzweifel oder dessen Handlungen Sie nicht verstehen, nicht über eins bekommen. Da sind Denk- oder Verhaltensmuster, die einen anderen, eine andere im Würgegriff haben, so, dass man meint, man könne nicht anders, oder man könne anderes nicht. Und da sind Sie, dem es bei genauerem Hinsehen ja genauso geht. Da sind neben dem Bartimäus der Zachäus, der verlorene Sohn, der barmherzige Samariter, in Ihrer Lebenswelt mit anderen Namen versehen, aber die Geschichten mögen sich ähneln – Sie hören das „Hab Erbarmen mit mir“, und die rufe gelten Ihnen – andersherum: Es sind Ihre Rufe, weil all diese biblischen Figuren in Ihrem Leben einen Ort haben.

» Die einzige Handlung Jesu besteht darin, den Blinden nach seinem Willen zu fragen. So weit zieht Jesus sich zurück, so sehr vermeidet er absichtlich jede eigene Handlung, dass es ganz und gar auf den Willen des Bartimaios selbst ankommt. «
Drewermann, Eugen (2. Aufl. 1989): Das Markusevangelium. 2. Teil. Bilder von Erlösung, Freiburg, 161f.

Die (alles) entscheidende Frage

„Was willst Du, dass ich Dir tun soll?“ – Jesu Antwort ist für mich schon ein gewagter Anfang, eben nicht so zu tun, als könne ich den Ruf des anderen aufnehmen und ihn dann auch heilen – das wird so wunderbar deutlich in Jesu Wort „Dein Glaube hat Dir geholfen!“ Und es ist ein genauso gewagter Anfang, aufzuhören zu glauben, der andere könne mich heilen! Das kann nur ich selbst! Auch mir gilt dieses Wort Jesu „Dein Glaube hat Dir geholfen!“

Das Entscheidende ist wohl das Zusammenstehen, das Aushalten der Zerrissenheit in der Begegnung von uns beiden, sei sie äußerlich, sei sie innerlich. Und viel gewonnen, vielleicht sogar viel geheilt ist dann, wenn wir beide die drei Fragen positiv beantworten: „Will ich das? Will ich das? Will ich das?“

Es könnte sein, dass dann im Zusammensein das Gleiche geschieht wie in Jericho: Da gehen beiden die Augen auf, und beide können sehen, sich selbst ansehen, den anderen ansehen, Ansehen verschenken und Ansichten neu gewinnen. Verrückt ist doch, dass selbst hier, in diesem „Bartimäus-Erleben“ auch ein dreifaches Ja auf die drei Fragen gegeben werden muss: „Will ich das? Will ich das? Will ich das?“ Jedes Nein von Ihnen, jedes Nein von mir setzt in dieser Begegnung Jesu seine Kraft außer Kraft!

Die Zumutung dieses Evangeliums ist die Annahme (Sie wissen: im doppelten Sinne des Wortes!) der Kraft zur Heilung, die in einem jeden Menschen selbst verborgen liegt. Bartimäus hat sich darauf eingelassen, jetzt liegt es an uns, an Ihnen, an mir.

Zurück zum Anfang: Stellen Sie sich vor, Kees de Kort würde Ihre Heilung, Ihr neues (An-) Sehen malen. Wie würde das Bild wohl aussehen? Die Umstände, in denen es spielt, die Figuren, die neben Ihnen zu sehen sind, die Züge in Ihrem Gesicht? Und hören Sie die drei Fragen: „Will ich das? Will ich das? Will ich das?“

Amen.

Köln 23.10.2021
Harald Klein