5. Sonntag der Osterzeit – Der neue Weg, oder: Von wegen neu!

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Das Beste kommt zum Schluss

Es waren vielleicht die besten Rollen, die die beiden Schauspieler Jack Nicholson und Morgan Freeman übernommen haben – der eine als ungläubiger, unmoralischer Milliardär Edward Cole (Nicholson) der andere als hochgebildeter Automechaniker afroamerikanischer Herkunft Carter Chambers (Freeman). Beide liegen im selben Krankenzimmer einer Klinik und erfahren, dass sie aufgrund Ihrer Krebserkrankungen nur noch ein knappes Jahr zu leben, besser: zum Leben haben. Chambers beginnt, eine „Löffelliste“ zu schreiben – Dinge, die er noch erleben will, bevor er „den Löffel abgibt“, und als ihn der Mut verlässt, ermuntert ihn Cole, eine gemeinsame Liste zu verfassen, die sie auch in der ihnen verbleibenden Zeit „abarbeiten“. Mehr sei nicht verraten.

Ich komme auf den Film, weil das Evangelium des heutigen Sonntags so etwas wie eine „Löffelliste“ Jesu für seine Jünger ist. Die Erzählung spielt im Abendmahlssaal, die Fußwaschung – das zeichenhafte, großartige Beispiel Jesus für seine Jünger ist getan, ist vorgemacht und geschehen, der Verräter Judas ist gegangen, sein Werk zu tun. Jesus wendet sich an die Elf, spricht ein wenig apokryph, geheimnisvoll von der Verherrlichung des Menschensohnes in Gott und eröffnet dann: „Meine Kinder, ich bin nur noch kurze Zeit bei Euch.“ (Joh 13,33a). Zwar keine Krebsdiagnose, die auf eine kurze Frist des Lebens hinweist, wie im Film. Aber doch der Hinweis auf die „kurze Zeit“, so etwas wie eine „letzte Frist“, in der Jesus sein – wenn auch nur mündliches – Testament weitergibt.

Und wie im Film, so kommt das Beste zum Schluss: „Ein neues Gebot gebe ich Euch. Liebt einander! Wie ich Euch geliebt habe, so sollt auch Ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass Ihr meine Jünger seid: wenn Ihr einander liebt.“ (Joh 13,34f)

» Mögen alle Wesen glücklich sein und Frieden finden.
Was es auch an lebenden Wesen gibt:
ob stark oder schwach, ob groß oder klein,
ob unsichtbar oder sichtbar, fern oder nah,
ob einer Geburt zustrebend -
mögen sie alle glücklich sein. «
Khema, Ayya (2014): Nicht so viel denken, mehr lieben, Buddha und Jesus im Dialog, Uttenbühl, 4. Aufl., 11.

Der neue Weg…

Aber noch einmal zurück zur Szene, zur „Bühne“, wie Ignatius von Loyola sagen würde, auf der diese Szene spielt. Malen Sie es sich einmal in allen Farben und Formen aus, was da geschieht, wie die Mimik der Beteiligten ist, der Klang der Stimmen, wer sich wem zu- oder von wem abwendet, ob die Menschen in der Szene sitzen, stehen, liegen – und wie sie das tun, u.v.m. Und dann das Wort Jesu: „Ein neues Gebot gebe ich Euch: Liebt einander.“

Im Reigen der Weltreligionen ist dieses „Liebet einander!“ gar nicht so neu. Seit Aschermittwoch begleitet mich die Lehrrede des Buddha über die Liebende Güte. An keinem anderen Sonntag der Buß- oder der Osterzeit wird deutlich, wie nahe sich die Verkündigung des Buddha und die Verkündigung Jesu sind. „Wem klar geworden ist, dass der Frieden Gottes das Ziel seines Lebens ist, der bemühe sich um folgende Gesinnung…“ – so beginnt die Lehrrede des Buddha, und den Haltungen und Tugenden des Buddha, die sich in der Lehrrede dieser Einleitung anschließen, entspricht das „Liebt einander!“, das bei Buddha nicht nur den Jüngern, der Gemeinschaft der buddhistischen Sangha, gilt, sondern allem Geschaffenen. Die Frage ist, was hier das „neu“ meint. So „neu“ ist das Gebot Jesu gar nicht, wenn Sie es zeitlich denken!

… von wegen neu!

Eine zeitlich gedachte Möglichkeit in der Geschichte des Judentums könnte sein, „neu“ im Sinne eines „zusätzliche“ oder „dazugekommenen“ Gebotes zu verstehen. Zu den 613 sog. „Mizwot“ (365 Verbote und 248 Gebote) des Judentums kommt ein 614. Gebot dazu. Dieses eher formale und numerische Dazukommen halte ich für unwahrscheinlich.

Eine zeitlich gedachte Möglichkeit in der Geschichte Jesu mit seinen Jüngern könnte sein, all seine Lehren und Inhalte aus den Gleichnissen und Reden zusammenzufassen in dem einen neuen Gebot „Liebet einander!“ – und damit ist eine „Zeitenwende“ eingeläutet! So folgert es Augustinus im 5. Jahrhundert in seinem tiefen Spruch „eilige et quod vis fac“ („Liebe und tue, was Du willst“). [1]. Augustinus sagt weiter: „Wenn Du schweigst, so schweige aus Liebe; wenn Du redest, so rede aus Liebe; wenn Du zurechtweist, so weise aus Liebe zurecht; wenn Du vergibst, so vergib aus Liebe; in Dir sei die Wurzel der Liebe, denn aus dieser Wurzel kann nur Gutes hervorgehen.“[2]

Ein anderes Wort für „neu“ könnte auch „immer wieder von neuem“ oder auch nur „jetzt“ sein. Dies findet sich in der Spiritualität des „Jetzt“, wie sie Eckart Tolle beschreibt: „Egal, ob du allein lebst oder mit einem Partner zusammen, hier ist der Hauptpunkt: Sei gegenwärtig und intensiviere das Gegenwärtigsein dadurch, dass du deine Aufmerksamkeit immer stärker auf das Jetzt konzentrierst.“[3]

Ein liebender Mensch zu sein, immer mehr ein liebender Mensch zu werden, ist nicht christlich! Genauer gesagt: es ist nicht nur christlich. Es hängt noch nicht mal an einer Religion. Die Übersetzenden des neuen Testaments haben sich sicher etwas dabei gedacht, aus den beiden Kommata im griechischen Text einen Doppelpunkt, ein Ausrufezeichen und einen Hauptsatz mit Nebensatz zu machen, durch Komma getrennt. Es ist etwas andres zu lesen: „Ein neues Gebot gebe ich Euch, dass Ihr Euch untereinander liebt, wie ich Euch geliebt habe“, oder Ein neues Gebot gebe ich Euch: Liebt einander! Wie ich Euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ In der ersten Formulierung ist das „wie“ ein Vergleich der Beziehung: so, wie Jesus seine Jünger geliebt hat, sollen sie sich nun einander lieben, es geht eher um Nachahmung. In der zweiten Formulierung ist das „wie“ eher ein Hinweis, eine Begründung: weil Jesus seine Jünger liebte, heißt Nachfolge Jesu, liebend den anderen, liebend dem anderen und liebend mir selbst gegenüber eingestellt zu sein.

„Neu“ heißt dann nicht, Altes oder das Alte über Bord zu werfen. „Neu“ heißt“, von Augenblick zu Augenblick, von Moment zu Moment, von Begegnung zu Begegnung „neu“ in und aus dieser Liebe zu leben und zu handeln und gegenwärtig zu sein, nicht aus/in der Vergangenheit bzw. der Zukunft.

» Wie eine Mutter mit ihrem Leben ihr einzig Kind beschützt und behütet, so möge man für alle Wesen und die ganze Welt ein unbegrenzt gütiges Gemüt erwecken: ohne Hass und ohne Feindschaft, nach oben, nach unten, in alle Richtungen. «
: Nicht so viel denken, mehr lieben, Buddha und Jesus im Dialog, Uttenbühl, 4. Aufl., 11.

Noch einmal: Das Beste kommt zum Schluss

Zu Beginn stand die Erinnerung an einen Film, in dem es um eine „Löffelliste“ geht. Am Ende des Filmes wird von Cole, dem hochgebildeten Automechaniker erzählt, er habe wohl den Krebs besiegt, als er mit 81 Jahren gestorben sei. „Die Augen geschlossen, aber das Herz geöffnet“, so heißt es im Film. Eine gute Umschreibung dessen, was dieses gar nicht so und doch immer wieder so neuen Gebot Jesu den Jüngern, Ihnen, mir mit auf den Weg gibt. Es geht um die immer neue Gegenwärtigkeit der Liebe, nicht um ein neues und zusätzliches oder ersetzendes Gebot. „Liebt einander! Wie ich Euch geliebt habe, so sollt auch Ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass Ihr meine Jünger seid: wenn Ihr einander liebt.“

Wohlan!

Amen.

Köln 12.05.2022
Harald Klein

[1] Aurelius Augustinus, Kommentar zum ersten Johannesbrief, zit. auf.: [online]  https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/audiences/2011/documents/hf_ben-xvi_aud_20110413.pdf  [12.05.2022]

[2] ebd.

[3] Tolle, Eckart (2014): Leben im Jetzt, 9. Aufl., München, 94f.