Grenzen sind wie ein Ufer am See
Vieles ereignet sich am Ufer des Sees Genesareth. In den ersten drei Evangelien ist das Ufer des Sees der Ort der Berufung der ersten Jünger. Hier, am Ufer, lassen sie alles stehen und liegen, von hier aus folgen sie Jesus nach. Johannes verlegt die Brotvermehrung ans Ufer des Sees, und die Seinen lernen, dass das Wenige, das sie zu bieten haben, doch reicht, um die Vielen satt zu machen. Ans Ufer ziehen sie sich gleich darauf in der Nacht zurück, als der Seesturm auf dem See sie im Boot hin- und herwirft. Und schließlich die große Begegnung des Petrus mit dem Auferstandenen in Joh 21, die wieder am Ufer spielt, und in der Petrus nach der dreimaligen Frage Jesu, ob er ihn liebe, seinen Auftrag bekommt: „Weide meine Schafe“, und die Grenzen überschreitende Zusage: „… ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst.“
Ein Ufer markiert immer eine Grenze – und Grenzen sind immer ambivalent: das Alte ist vergangen, Neues fängt an, Neues will werden. Ich bin am Ende – aber ein neuer Anfang ist vor mir.
Am Ufer, an der Grenze dem Auferstandenen begegnen
Ein erster Blick soll auf Joh 21,1-14, auf die Erscheinung des Auferstandenen am See, geworfen werden. Hinter den Jüngern, am Land, liegt eine Zeit des Unheils, liegen Jerusalem und Golgotha, liegen die Erfahrung der Passion und des Versagens. Nur weg davon! Die einen – bei Lukas – machen sich auf den Weg nach Emmaus, die anderen kehren zu dem zurück, was ihre eigentliche Passion ist, sie gehen am See Genesareth fischen. Auf zu „neuen Ufern“, alte Ufer hinter sich lassen, die Brücken abbrechen. Und die Apostel machen die Erfahrung des Scheiterns am See. Johannes drückt das mit einem einfachen Satz aus: In dieser Nacht (!) fingen sie nichts. So einfach geht das nicht.
Als es Morgen wurde, stand Jesus am Ufer – oder sollte es besser heißen: weil Jesus am Ufer stand, wurde es Morgen? Enscheidend scheint mir in der Betrachtung des Schauplatzes der Ort, an dem der Auferstandene zu suchen und zu finden ist: am Ufer, an der Grenze zwischen dem Alten und dem Neuen.
Und jetzt machen die Apostel im Boot ihre „Grenzerfahrung“ mit dem Herrn. „Werft das Netz noch einmal aus, auf der rechten Seite des Bootes, und ihr werdet etwas fangen.“ Der Ausgang ist bekannt: „… sie konnten das Netz nicht wieder einholen, so voller Fische war es.“
Am Ufer, an der Grenze Jesus suchen und auf ihn hören
Als Erstes an der Grenze Jesus suchen – diese Wahrheit des Glaubens scheint unter unserem Themenschwerpunkt hier gesagt zu werden. Nicht das Verharren im Alten, in „Jerusalem“ ermöglicht Wachstum, auch nicht der scheinbar bekannte Aufbruch ins Altbewährte, sondern einzig und allein der Blick auf den Herrn an der Grenze des Erlebten.
Und als Zweites das Hören auf Ihn. Mich berührt, wie konkret der Auferstandene die Apostel anspricht: „Werft das Netz noch einmal aus, auf der rechten Seite …“ Für den, der auf den Herrn an der Grenze des Erlebten schaut, hat ER konkrete Schritte. Es ist ein Kriterium in der Untercsheidung der Geister, dass der gute Geist „inkarnieren“, Fleisch werden will. Da gibt es kein „mal schauen“, keine Hintertüren, die ich mir offen halten kann, keine Leicht- und Schwerpunkte. Da gibt es nur die „rechte Seite“ – und das Vertrauen darauf, dass Sein Wort richtig ist: „Sie warfen das Netz aus – und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es.
Für das Gebet und das Gespräch in der Gruppe:
Nach dieser Bereitung des biblischen Schauplatzes kann nun ein anderer Schauzplatz bereitet werden:
- Rückblickend können die „Ufer“ Ihres Lebens in den Blick genommen werden, die Zeiten und die Situationen, wo das eine endete und das andere noch keine Form hatte, schwankend war oder stürmisch …
- … oder die Zeiten und Situationen, in denen Ihnen „zum Fortlaufen“ war und sie nicht mehr „zurück“, aber noch nicht „vor“ konnten …
- Vielleicht gibt es jetzt, gegenwärtig, eine solche Situation?
- Und dann, schon mit einigem Abstand auf die alten Ufer, sich zurückwenden, den Herrn am „Ufer“ suchen., IHN anschauen, und auf IHN hören, selbst dann, wenn Sie IHN auf den ersten Blick noch gar nicht erkennen oder das, was ER Ihnen sagt, fremd klingt.
- Was sagt ER Ihnen? Wie klingt da an der Grenze, am Ufer SEIN „Werft es an der rechten Seite aus“ für Sie? Und gibt es jemanden, der mit Ihnen tut, was ER sagt?
- In der Gruppe momentane Grenzsituationen und sich zeigende Grenzen ins Gespräch bringen, gemeinsam auf den Herrn schauen, SEIN Wort hören, und sich unterstützen darin, es zu tun – das könnte es heißen, in der GCL Grenzen im Leben anzunehmen und an ihnen zu wachsen.
Harald Klein, Köln