Das Band, das alles zusammenhält

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Das Bild vom Lebenshaus

Liebe Regina, lieber Alexander,

wäre das hier jetzt keine Traupredigt, sondern eine Betrachtung im Rahmen von Exerzitien, dann würdet Ihr angeleitet, Euch ganz bildhaft das Haus, die Wohnung von Maria und Martha vorzustellen. Sich Maria vorzustellen, wie sie es sich zu Füßen Jesu bequem macht, sich Martha vorzustellen, wie sie ganz davon beansprucht ist, Jesus zu dienen und für ihn zu arbeiten. Aus dem Haus von Maria und Martha dürftet Ihr dann Euer Haus, Eure Wohnung machen. Und aus dem, was Alex mir am Telefon zu dieser Stelle erzählt hat, weiß ich, dass es zumindest für ihn wichtig ist, dass einmal diese Rollen zwischen Martha und Maria, vielleicht auch zwischen Alex und Regina, getauscht werden können, aber auch, dass beides zusammengehört, das Arbeiten und die Muse, und dass Ihr beide sehr darauf hofft und Euch wünscht, dass es in Eurem Haus, in Eurer Wohnung gelingen möge, für beides, Arbeit wie Muse, Zeit und Raum zu haben.

Aber wir sind ja in einer Trauung, Traupredigt ist dran, keine Exerzitienbetrachtung. Also: lassen wir das Haus der Martha und der Maria hinter uns und schauen wir uns das Haus an, dass Ihr gemeinsam bauen werdet. Kein Neubau aus Stein, aber ein Lebenshaus als Eheleute.

Ihr habt bereits begonnen und werdet als Eheleute damit fortsetzen, Euch ein gemeinsames Lebenshaus aufzubauen und Euch darin einrichten. Es gibt in der Sozialpsychologie das Modell der „Fünf Säulen der Stabilität“, entwickelt von einem Westerwälder namens Hilarion Petzold. Damit ein Mensch stabil, standhaft bleibt, sollte er sein Lebenshaus auf fünf Säulen errichten: Arbeit/Beruf – materielle Sicherheit – soziales Netz – Körper und Gesundheit – innere Haltung und Werte. Der Charme dieses Modells liegt in seinem umfassenden Charakter. Wenn einer seinen Wert, seine Stabilität zum Beispiel nur auf die Arbeit, den Beruf, die Leistung setzt, und diese Säule kippt oder zerbricht, bricht das Lebenshaus, bricht der Mensch völlig zusammen. Petzolds umfassender Ansatz: sich um alle fünf Säulen sorgen, sodass drei oder vier Säulen alles stabil halten, wenn eine oder zwei zusammenbrechen. Klingt einfach, und mit dem Kolosserbrief, den Ihr als Lesung ausgesucht habt, möchte ich zeigen, dass das im Lebenshaus der Ehe machbar ist. Keine Sorge, ich gehe nicht Säule für Säule durch, aber das eine oder andere Wort aus der Lesung mag diesen Gedanken unterstreichen.

„Ihr seid von Gott geliebt…“

Die Lesung beginnt mit „Ihr seid von Gott geliebt.“ Wenn es der Lektor oder die Lektorin vorträgt, lesen sie es der ganzen Gemeinde vor. Aber heute geht es um Euch, und das Wort gilt erst einmal Euch beiden, als würde Paulus sagen: „Regina und Alex, Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen!“ Wie gesagt: Das dürfen alle hier sich sagen lassen, aber für jetzt gilt es vor allem den beiden: „Regina und Alex, Ihr seid von Gott geliebt, Ihr seid seine auserwählten Heiligen.“ Wie klingt das? Was löst so ein Wort heute, hier jetzt bei Euch aus? Und wie wäre es, wenn Alex Regina anschaut, wenn Regina Alex anschaut, und der eine sagt zum anderen: „Regina, Du bist von Gott geliebt, bist seine auserwählte Heilige.“ Und „Alex, Du bist von Gott geliebt, bist sein auserwählter Heiliger.“

Das kann schon eine erste Stütze für die Säulen des Lebenshauses sein. Dieses Wort wird es aber noch viel stärker, wenn Ihr dann gleich im Trauspruch sagen werdet: „Regina, ich nehme Dich an als meine Frau…“ und „Alexander, ich nehme Dich an als meinen Mann“ – als von Gott geliebt und auserwählt für mich. Und wenn am Ende dann die Stola um Eure Hände, die Ihr Euch reicht, gelegt wird, klingt dann das „Ihr“ nach: Ihr seid von Gott geliebt, Ihr seid auserwählt, füreinander. Das hat Gewicht. Das kann halten und stützen.

„Bekleidet Euch vor allem mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut und Geduld…“

Wenn Ihr in einer Klinik seid und dann begegnet Euch kurz vor Feierabend noch einmal der Oberarzt, jetzt ohne weißen Kittel, sondern im T-Shirt und in Jeans, und er gibt Euch noch einen Rat mit in die Nacht – dann ist das komisch. Da fehlt was. „Kleider machen Leute“ heißt eine Novelle, die der Schweizer Schriftsteller Gottfried Keller 1874 geschrieben hat.

Den Arzt erkennt man am weißen Kittel, den Polizisten in Uniform, den Priester sollte man an der Soutane oder wenigstens an der schwarzen Kleidung mit Tippex-Kragen erkennen – aber woran erkennt man Eheleute? Oder besser: woran erkennen sie sich als „meine Frau“, als „meinen Mann“, wie Ihr es Euch gleich im Trauspruch zusagt?

Da gibt die Lesung einiges her. Ihr könnt Euch als Eheleute erkennen an all dem, was da gesagt wird. „Bekleidet Euch“ steht da, flapsig gesagt könnte man übersetzt „hängt es raus“, am besten vielleicht „zeigt Euch einander“ – eben in Erbarmen, gütig, demütig, geduldig, ertragt euch dann, wenn es schwer wird, und vor allem: vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat. Das ist kein Moralin, kein Gesülze, das sind die Vorzeichen vor einer Klammer, in der die ganze Lebensgeschichte zweier Menschen steht. Es gilt für jede Freundschaft, und es gilt vor allem für die Freundschaft, die sich zwei Menschen in der Ehe versprechen.

Wenn dieses Vorzeichen von Erbarmen, Güte, Demut, Geduld, Vergebung vor der Klammer steht, die Euer Lebenshaus umgibt, dann sorge ich mich nicht um dessen Stabilität, und dann wird Eure Liebe auch manche instabilen Momente oder Phasen auffangen können.

„Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht…“

Ein letztes: Das Wort von der Liebe, die das Band ist, das alles zusammenhält und vollkommen macht. Ich habe Euch etwas mitgebracht, das für dieses Band stehen soll, das alles zusammenhält. Wie vorhin schon gesagt, gilt das Wort der Lesung heute erst einmal Euch beiden: „Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht.“ Das gilt Euch – und doch: es geht über Euch hinaus. Es gilt einem jeden und einer jeden hier in der Kirche, im Blick auf Euch, aber auch so gut es geht untereinander. Die, die heute hier sind, sind Euch zugetan – vielleicht ist es zu dick, zu sagen, sie sind Euch in Liebe zugetan, aber in die Richtung geht es. Wenn Ihr beide, Regina und Alexander, dieses Band der Liebe um Euch schlingt, und wenn wir dieses Band der Liebe, der Freundschaft und der Verbundenheit um Euch und euer Lebenshaus legen – wie könnte es dann noch stürzen? Ich werde dieses Band gleich mit zur Feier nehmen und die Gäste bitten, ihre Namen draufzuschreiben, damit Ihr es als Stütze erinnernd bei Euch habt.

„In Euren Herzen herrsche der Frieden Christi…“

Die Lesung umfasst alles, hat Alexander zu mir gesagt. Sie zeige eine erhabene Art zu denken und zu leben. Ihr seid von Gott geliebt, und liebt einander. Es geht um Euer Lebenshaus, in dem Beruf und Arbeit gehören, die Frage nach materieller Sicherheit, die sozialen Kontakte, die Sorge um Gesundheit und die inneren Haltungen und Werte. Ihr seid gut gewappnet, wenn das Band der Liebe Güte, der Demut, der Geduld und des Verzeihens vor der Klammer steht, dessen Elemente dieses Lebenshaus ist. Ihr seid gut gewappnet, wenn die Liebe das Band ist, das alles zusammenhält – das Band der Ehe, das Euch beide umfängt, aber auch das Band all derer, die Euch Zusammenhalt zusagen und mit Euch leben.

Paulus mag das letzte Wort haben mit drei Wünschen: (1) „In Euren Herzen herrsche der Friede Christi.“ (2): „Singt Gott in Euren Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie der Geist sie eingibt, denn Ihr seid in Gottes Gnade.“ Und (3) „Alles, was Ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu des Herrn. Durch ihn dankt Gott, dem Vater.“

Amen.

Köln, 20. Juli 2019
Harald Klein