Die Hilfe, die dem Menschen entspricht…

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Die SMS eines lieben Freundes

Am Donnerstag kam eine schöne Nachricht mit einer Bitte über WhatsApp bei mir an, die ich Ihnen vorlesen darf. Ein mir sehr lieber Freund schreibt: „Lieber Harald, ich würde mich sehr über ein Kerzchen am Sonntag freuen. A. hat Geburtstag, und sie und ich sind am selben Tag ein Jahr zusammen. Wie war dein Semesterstart? Ich denk an dich!“

Morgens hatte ich mir die Texte des Sonntags angeschaut, und siehe da, wie sie zusammenpassen: „Gott, der Herr, sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“

Lassen Sie uns gemeinsam einmal auf diese Zusage Gottes ganz am Anfang der Bibel schauen: Gott sagt dem Menschen eine Hilfe, die ihm entspricht.

Ein Mensch – für einen Menschen geschaffen

Zugegeben, in der Bibel geht es um Adam und Eva, geht es um den einen – und es geht um die andere, die zu ihm gehört. Kein Wunder also, dass dieser Text vor allem Einzug gehalten hat in die Feier der Trauung. Und jetzt? Ich – ein Priester im Zölibat – predige heute vor Euch, den in der Ehelosigkeit lebenden Schwestern und Brüder der Gemeinschaften von Jerusalem. Manch einer oder eine von Ihnen in der Gemeinde wird ehelos leben, oder getrennt lebend sein, wie auch immer. Ich denke an die SMS, an den Freund, der dahintersteckt. Die Eheleute mögen mir nicht böse sein, wenn ich diesen Zuspruch Gottes auch für uns Ehelose in Anspruch nehme. Ich glaube, dass diese Zusage Gottes jedem und jeder gilt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“

Und das ist das erste, was ich Ihnen und Euch mitgeben möchte: Lasst uns neugierig und offen bleiben, wen Gott uns an die Seite stellt, als Hilfe, die uns entspricht; und lasst uns so leben, dass wir zur Hilfe werden, die anderen entspricht. Gerade im Blick auf den mir lieben Freund, von dem die SMS kam, kann ich zumindest sagen, dass diese Freundschaft zu den mich beglückendsten Dingen gehört, die mir Gott schenkt. Das Leben miteinander teilen und es füreinander leben – das ist auch ein wenig „Erntedank“.

Die Kirche – für die Welt geschaffen

Ich möchte den Gedanken der „geschaffenen Hilfe“ mit Ihnen aber noch weiterspinnen. Auch wenn es gegenwärtig nicht ganz leicht ist: Kann nicht diese Zusage Gottes auch heißen: „Es ist nicht gut, dass die Welt allein bleibt. Ich will ihr eine Hilfe machen, die ihr entspricht.“ Und darf sich dann die Kirche nicht als eine solche Hilfe verstehen? Was würde wohl geschehen, wenn wir Getaufte uns und unser Leben aus dem Glauben als eine „Hilfe für die Welt“ verstehen würden? Die beiden Pole, die in der Theologie der späten 1960er Jahre Kirche deuteten, waren wohl Hans Urs von Balthasar, der von der Kirche als „Mysterium Salutis“, als dem Geheimnis des Heils“ sprach – und auf der anderen Seite Karl Rahner, der die Kirche als „Sacramentum mundi“, als Sakrament der Welt und für die Welt“ verstand. Mein Herz schlägt für dieses „Sacramentum mundi“, schlägt für eine Kirche, die dem Menschen und der Welt dient. Und ich glaube, dass eine Kirche, die sich als von Gott geschaffene Hilfe, die der Weltentspricht, versteht, nur eine Frage stellen kann, die ihr in der Welt ein Gehör verschafft. Es geht um die Frage: „Womit kann ich dienen?“

Das ist das zweite, was ich Ihnen und Euch mitgeben möchte, ein Verständnis von Kirche als Hilfe für die Welt, die ihr entspricht, mit ihrer Frage „Womit kann ich dienen?“

Die Welt – eine Hilfe für die Kirche

Und jetzt kommt das dritte, etwas, was in der Theologie gerne vergessen wird. Die Zusage Gottes könnte noch weitergedacht werden in der Form von „Es ist nicht gut, wenn die Kirche allein bleibt. Ich will ihr eine Hilfe schaffen, die ihr entspricht.“ Im II. Vatikanischen Konzil hat die Kirche sich das selbst vor Augen geführt! Im vierten Kapitel von Gaudium et spes, der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute, wird „die Aufgabe der Kirche in der Welt von heute“ beschrieben. Nehmen Sie als ein Miteinander von konzentrischen Kreisen: Da ist die Rede von der gegenseitigen Beziehung von Kirche und Welt[1], dann geht es um die Hilfe, welche die Kirche den einzelnen Menschen geben[2]und welche sie der menschlichen Gemeinschaftbringen möchte[3]. Dann geht es über die Kirche und die Christen hinaus. Die Konstitution spricht von der Hilfe, mit der die Kirche durch die Christen das menschliche Schaffenunterstützen möchte[4]. Und das Kapitel endet dann mit der Hilfe, welche die Kirche von der heutigen Welterfährt[5], so, dass Christus Alpha und Omega, alles in allem ist[6]. Es ist nicht gut, dass die Kirche allein, unter sich, sich selbst genügend ist und bleibt. Die Welt in all ihrer Gebrochenheit und in ihrem Heil, in all ihren Streitigkeiten und im Frieden, in all ihrer Not und ihrem Reichtum ist eine Hilfe, die die Kirche erfährt, um ihre eigene Sendung neu zu lernen. Ich habe diese Kapitel des II. Vatikanischen Konzils erst kennen und schätzen gelernt, als ich schon 24 Jahre Priester war. Zum Glück war das noch nicht zu spät. Auch so kann ich – an Erntedank – die Zusage Gottes verstehen: „Es ist nicht gut, dass die Kirche allein bleibt. Ich will ihr die Welt als Hilfe geben, die ihr entspricht.

„Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen“

Und jetzt hören Sie auf das Jesus-Wort aus dem Evangelium, dass in der Liturgie eben nur der Eheschließung vorbehalten ist: „Was Gott verbunden hat, dass darf der Mensch nicht trennen.“ Und gestatten Sie mir oder trauen Sie sich, auch hier diesen Auftrag Jesu weiter zu denken. Er gilt in der Ehe, völlig selbstredend. Aber ich möchte seine Geltung auch in der Freundschafft behaupten, denen gegenüber, die Gott mir geschaffen hat als Hilfe, die mir entspricht; ich möchte diesen Auftrag an die Kirche gerichtet wissen, die für die Welt und auf sie hin eine ihr entsprechende Hilfe sein soll; und ich möchte ihn gerichtet wissen noch einmal an die Kirche gerichtet wissen von der Welt her, in der die Welt die Hilfe ist, die der Kirche für ihre Sendung hilft, so, dass sie kein Selbstzweck ist. Darin und nur darin erfährt die Kirche eine Hilfe auf ihre eigene Sendung hin.

„Lass mich Dich lernen…“

Der 1994 verstorbene Bischof von Aachen, Klaus Hemmerle, hat einmal an Jugendliche geschrieben: „Lass mich Dich lernen, dein Denken und Sprechen, Dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich Dir zu überliefern habe!“ Das ist die Hilfe der Welt, die der Kirche entspricht: „Lass mich Dich, Welt, lasst mich Euch, Ihr Menschen, lernen, Euer Denken und Sprechen, Euer Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich Euch zu überliefern habe.“

Lassen Sie uns als einzelne, als Gemeinschaft, als Kirche, in und mit der Welt darauf hoffen, dass Gott uns die Hilfen schaffen wird, die uns entsprechen, dass er uns zu Helferinnen und Helfern macht für die, die unsere Hilfe brauchen. Lassen Sie uns als Kirche die Welt lernen, damit wir ihr wirklich Hilfe sein können. Und lassen Sie uns an Erntedank danken für das und für die, die uns solche Hilfen sind.

Und jetzt werde ich das Kerzchen anmachen, das in der WhatsApp erbeten wurde, in Dankbarkeit und Freude.

Amen.[7]

[1]Vgl. GS 40.

[2]Vgl. GS 41.

[3]Vgl. GS 42.

[4]Vgl. GS 43.

[5]Vgl. GS 4

[6]Vgl. GS 45.

[7]Diese Predigt sei ein Geburtstagsgeschenk für A. und ein Dank für das Band der Freundschaft, das mich mit L. verbindet. Wirklich ein „Erntedank“, der noch lange nicht am Ende ist.