Erscheinung des Herrn – Begegnung verändert

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Von Hirten, Deutern, Königen und Weisen

An Weihnachten habe ich vom Krippenaufbau in meiner Wohnung erzählt, und davon, dass die „Könige“, die ja eigentlich als Magier, als Sterndeuter oder als Weise im Matthäusevangelium auftauchen, durchs Zimmer anreisen müssen, bis sie dann schließlich zum 06. Januar auch an der Krippe erscheinen dürfen. Der Mainzer Dommusiker Peter Cornelius (1824-1874) erzählt im Lied von deren Reise.

Anders als in meinem – und wahrscheinlich in Ihrem – Wohnzimmer ist jetzt Platz an der Krippe in Betlehem. Die Hirten sind ja noch in der (Weih-) Nacht wieder zurück zu ihren Herden gegangen; und die drei Magier, Sterndeuter oder Weisen, die vorher noch am Hofe des Königs Heroldes waren, gehen nach dem „Huldigen“ des Kindes auch wieder ihrer Wege, allerdings anders, als Heroldes es ihnen auftrug; sie ließen sich vom Engel leiten, der ihnen im Traum um den Schutz des Kindes willen einen anderen Weg empfahl.

Es ist in diesem Jahr das erste Mal, dass mir auffällt, wie sich die Geschichte der Hirten und die Geschichte der Weisen ähneln. Beide so verschiedene Gruppen werden gelockt, geführt von einer himmlischen Macht – die Hirten vom Engel und dessen Botschaft, die Weisen vom Stern. Beide durchleben Furcht – die einen vor der Herrlichkeit des Herrn, die sie umstrahlt, die anderen vor dem unheimlichen König Herodes. Beide erreichen sie zu verschiedenen Zeiten die Krippe, beide fallen vor dem menschgewordenen Gott auf die Knie, teilen mit Maria, mit Josef, mit dem Kind das, was sie haben: die einen das, was ihnen der Engel erzählt hatte und was vom Kinde gesagt wurde, die anderen ihre Gaben, eben Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Und sehr schlicht erzählt das Evangelium von den einen: „Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es ihnen gesagt worden war“ (Lk2,20). Und von den anderen: „Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen die Magier auf einem anderen Weg heim in ihr Land“ (Mt 2,12).

Einige Hinweise gibt es, aber es bleibt im Großen und Ganzen der Fantasie der Lesenden und Hörenden überlassen, sich auszumalen, ob die Hinreise, die Begegnungen unterwegs und vor allem an der Krippe und schließlich die Rückreise die Hirten bzw. die Magier in irgendeiner Weise verändert haben und wie es „danach“ – die Begegnung war ja wirklich eine Zäsur im Leben der Beteiligten – bei ihnen weiterging.

» Sich einfach freuen
so ein unschuldiger Entschluss
und das Pathos der Hoffnung
und die Augen zu sehen... «
aus: Hahn, Ulla, Freude

Begegnung an der Krippe: Inklusion statt Exklusion

Diese Fantasie möchte ich ein wenig triggern. Nehmen Sie doch einmal einen Menschen in den Blick, dem zu begegnen Ihr Leben verändert hat. Was hat Sie zu ihm, zu ihr geführt, wie sah der Weg aus – gab es „Fügung“ und/oder Führung? Und dann: wie gestaltete sich diese erste Begegnung?  Gab es so etwas wie eine Einfachheit (der Krippe), eine Unmittelbarkeit (zwischen den Beteiligten), ein Geben und Nehmen von „Gaben“ (auch wenn es nicht Gold, Weihrauch und Myrrhe waren)? Schließlich: wie sah die Rückkehr ins eigene Land, auf die eigene Weide, in die eigenen Reihen, ins alltägliche Leben aus? Was hat sich verändert, was hat einen anderen „Geschmack“ bekommen?

Für mich ist es sehr tröstlich, dass die Spanne der Begegnungen die Hirten, die ganz schlichten Menschen, beinahe die Underdogs der Gesellschaft genauso einschließt wie die Magier, die gerade vom Königshof kommen – an der Krippe geschieht Inklusion vom Feinsten. Die Fragen, die weiter oben aufgeworfen werden, gelten Menschen aller Schichten und Altersstufen, und sie kreuzen sogar Schichten und Altersstufen. So geht eben Leben.

» Es ist mein Ernst. Es ist nicht unsere Aufgabe, einander näherzukommen, sowenig wie Sonne und Mond zueinander kommen oder Meer und Land. Wir zwei, lieber Freund, sind Sonne und Mond, sind Meer und Land. Unser Ziel ist nicht, ineinander überzugehen, sondern einander zu erkennen und einer im andern das sehen und ehren zu lernen, was er ist: des anderen Gegenstück und Ergänzung. «
Hesse, Hermann (1996): Narziss und Goldmund. Riehe "Die Romane und die großen Erzählungen", Bd. 6, Frankfurt/Main, 46.

Was Begegnung bewirkt

Im Blick auf Hermann Hesse, dessen Schriften über seinen eigenen Glauben den roten Faden durch diese Advents- und Weihnachtzeit bildet, gibt es eine Begegnung, die mich an diese Krippenszene erinnert. Im vierten Kapitel von „Narziss und Goldmund“ sind die beiden Protagonisten noch nicht lange beisammen, der Zauber der Begegnung mit dem so ganz anderen fängt beide ein, und es ist Goldmund, der danach fragt, was denn diese Begegnung für beide bedeute. Die Antwort, die der junge Klosterbruder Narziss gibt, könnte dem Jesuskind in die Krippe und in den Mund gelegt werden, könnte von ihm stammen, könnte betend von jedem gehört und angenommen werden, der sich nach Begegnung mit dem Göttlichen, aber auch mit dem ganz Menschlichen sehnt: Narziss sagt:

„Es ist mein Ernst. Es ist nicht unsere Aufgabe, einander näherzukommen, sowenig wie Sonne und Mond zueinander kommen oder Meer und Land. Wir zwei, lieber Freund, sind Sonne und Mond, sind Meer und Land. Unser Ziel ist nicht, ineinander überzugehen, sondern einander zu erkennen und einer im andern das sehen und ehren zu lernen, was er ist: des anderen Gegenstück und Ergänzung.“[1]

Einander erkennen, einer im andern das sehen und ehren zu lernen, was er ist: des anderen Gegenstück und Ergänzung – und dann sich in aller Gegenseitigkeit, als Gegenstück und Ergänzung auf den Weg machen, zurück in den Osten, zurück auf die Weiden und zu den Herden, zurück in mein (und dein) alltägliches Leben – stellen Sie sich das vor und malen Sie es sich aus.

Begegnung verändert! Das dürfen Sie (mir) glauben!

Amen.

Mölln, 05.01.2022
Harald Klein

[1] Hesse, Hermann (1996): Narziss und Goldmund. Reihe “Die Romane und die großen Erzählungen“, Bd. 6, Frankfurt/Main, 46.