Methodenblatt „Gott erfahren“

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Gott „erfahren“?

Eine „Gotteserfahrung“ ist immer ein Deutungsgeschehen. Es geht um eine neben anderen Möglichkeiten, die erlebte Wirklichkeit auf dem Hintergrund des eigenen Glaubens zu deuten und sie so – als gedeutetes Erlebnis – zu einer Glaubenserfahrung werden zu lassen. Dieses Deutungsgeschehen setzt einige Haltungen und Entscheidungen voraus.

Das Gottesbild

Da ist zunächst das Gottesbild,das ich habe.  Was glaube ich, wie sehe ich und verstehe ich Gott? Wer ist Gott für mich?

  • Gott, der Freund meines Lebens – Weish 11,20
  • Gott, der mich beim Namen ruft und mein Leben begleitet – Jes 43,1-7
  • Gott wohnt mitten in meinem Leben und teilt es – Sach 2,14

Das Menschenbild

Dann kommt es auch auf mein Selbstbildan. Kann ich glaubend annehmen (im doppelten Sinne des Wortes), dass Gott mit mir in Verbindung sein will, dass er mir liebend zugewandt ist und ich sein „Augenblick“ bin? Auch hier können einige Schriftworte Impuls und Ausgangspunkt für eine eigene, persönliche Antwort geben:

  • Gott bläst dem Menschen den Lebensatem ein, damit er ein lebendiges Wesen wird – Gen 2,7
  • Gott, der den Menschen die Entscheidung zum Leben frei wählen lässt – Dtn 30,19
  • Gott, der auf die Hinwendung des Menschen zu ihm wartet – Lk 15,11-32

Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit

Ignatius unterscheidet zwischen „moralischen“ einem Leben, das die Gebote und Gesetze der Kirche kennt und sich danach richtet, und einem „geistlichen“ Leben, das nach den Berührungen Gottes sucht und auf den Ruf Gottes hören will. Sein wichtigster Satz in diesem Zusammenhang ist: „Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit.“Gott kann ich nur erfahren, wenn ich die Wirklichkeit sehe, so wie sie sich mir zeigt und wie ich sie sehe (Kognitionen), indem ich wahrnehme, was sie auf mich wirkt (Emotionen) und was sie in mir bewegt (Affekte). Die notwendige Vorweg-Annahme (wieder im doppelten Sinne des Wortes) ist, dass ich meine Wirklichkeit als von Gott gegeben nehme, ihn in dieser Wirklichkeit – und nicht irgendwie und irgendwo daneben – suche. Glaubenserfahrung ist der Versuch, mein Erleben der Wirklichkeit als „von Gott her“ zu deuten.

Ein guter Text zum Einüben ist das Töpfergleichnis in Jer 18,1-6. Ich gebe hier den Text der Einheitsübersetzung und einige hilfreiche Fragen und Impulse weiter.

18,1  Das Wort, das vom Herrn an Jeremia erging:

2 Mach dich auf und geh zum Haus des Töpfers hinab! Dort will ich dir meine Worte mitteilen.

3 So ging ich zum Haus des Töpfers hinab. Er arbeitete gerade mit der Töpferscheibe.

4 Missriet das Gefäß, das er in Arbeit hatte, wie es beim Ton in der Hand des Töpfers vorkommen kann, so machte der Töpfer daraus wieder ein anderes Gefäß, ganz wie es ihm gefiel.

5 Da erging an mich das Wort des Herrn:

6 Kann ich nicht mit euch verfahren wie dieser Töpfer, Haus Israel? Spruch des Herrn. Seht, wie der Ton in der Hand des Töpfers, so seid ihr in meiner Hand, Haus Israel.

 

 

  • Fragen und Impulse:
  • Was nehme ich an Emotionen und Affekten wahr, wenn ich mich „als Ton in der Hand des Töpfers“ sehe?
  • Was zeigt sich mir, wenn ich den heutigen Tag, die vergangenen Tage usw. als Versuch Gottes, meinem Leben „Form“ zu geben, betrachte?
  • Wie, durch wen, auf was hin hat Gott – hat das Leben – mich in dieser Zeit „geformt“?
  • Wie habe ich auf dieses „berührt werden“ Gottes mitten in meiner Wirklichkeit reagiert?
  • Welchen „Eindruck“ hat Gott bei mir hinterlassen, und wie wirkt er sich weiter aus?

 

Für mich ist es ein Kriterium, dass es um eine Erfahrung Gottes und seines lebensspendenden Geistes geht – in Unterscheidung von einem ichsüchtigen und von was auch immer sonst motivierten Deuten, wenn die Frucht dieses „Eindrucks“ der Wirklichkeit mir eine tiefere Erfahrung von Tiefe, Weite, Liebes- und Leidensfähigkeit gewinnen lässt.

16. Juni 2018
Harald Klein, Köln