Ostermontag – Woran erkennt man einen Christen?

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Ein Gedankenspiel

Lassen Sie mich mit einem kleinen Gedankenspiel beginnen. Greifen Sie doch mal in Ihre rechte Manteltasche, holen Sie sich ein imaginäres Notizblöckchen heraus, einen imaginären Bleistift, und notieren Sie sich folgende Frage: „Woran erkennt man einen Christen?“ – In der Hochschule würde ich dazu sagen: fünf Minuten Zeit, drei kurze Stichworte.

Es ist Ostermontag, da ist alles ein wenig anders, wenn Sie möchten, rufen Sie doch mal in den Gottesdienstraum hinein, was Sie notiert haben…

Bildungstheorie: man erkennt nur, was man schon kennt

Ein kleiner Abstecher in die Bildungstheorie sei vorangestellt: Sie können nur erkennen, was Sie schon kennen. Ein Beispiel: Der kleine weiße Kreis auf schwarzem Quadrat – Wegzeichen des Köln-Pfades. Wer den Weg noch nicht gegangen ist, hat dieses Zeichen sicher noch nicht entdeckt, an U-Bahn-Haltestellen, im Forstbotanischen Garten, selbst am Stadion. Wenn Sie den Weg schon gegangen sind, fällt es Ihnen immer wieder auf. Sie erkennen es, weil sie es schon kennen, sich kundig gemacht haben.

„Sie erkannten ihn, als er den Lobpreis sprach, das Brot brach und es ihnen gab“ (Lk 24,30)

Die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus habe da eine klare Antwort: „Und als er mit Ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr.“

Wenn wir hier mit einander Eucharistie feiern, wenn wir quasi „unter uns“ sind, dann gilt das noch heute: Brot und Wein nehmen, den Lobpreis sprechen, hören, mitbeten, das Brot geben und empfangen. Wenn wir unter uns sind, dann gilt das.

Aber die Frage war: woran erkennt man einen Christen – nicht: woran erkennen Christen aneinander? Woran erkennen Nicht-Christen Christen?

Zeichen der Religion und der Religiosität

Woran erkannt man einen Christen? Sie könnten sagen, man kann einen Christen daran erkennen, dass ein Kreuz in seiner Wohnung hängt, oder jemand ein Kreuzchen um den Hals hat. Stimmt nicht – wenigstens beim Kreuzchen um den Hals kann es sich rein um ein Schmuckstück handeln, und das Kreuz kann von der Oma vererbt worden sein. Kreuz und Kreuzchen können An-Zeichen sein, aber kein sicheres Zeichen.

Zeichen der Frömmigkeit

Woran erkennt man einen Christen? Sie könnten sagen, dass es Zeichen von Frömmigkeit gibt: da betet einer vor dem Essen, da hält einer sich an die Fastenzeit und fastet Schokolade, verzichtet auf etwas, oder anders herum: macht etwas bewusst mehr. Oder er kann viele Leider aus dem Gesangbuch auswendig, weiß, wann im Gottesdienst aufzustehen, sie niederzuknien oder sich niederzusetzen ist.

Gut, dass es da private oder öffentliche Riten gibt, die verbinden. Ich erinnere mich an einen Gottesdienst 1980 auf Montmartre in Paris. Ich besuchte einen Gottesdienst in französischer Sprache, verstand kein Wort, konnte aber mitbeten, und der Friedensgruß wurde in mindestens vier Sprachen gegeben und empfangen.

Und doch – stimmt nicht! Man erkennt an den Zeichen der Frömmigkeit nicht, dass einer Christ ist, sondern dass einer ein Frommer ist. Die Riten der Frömmigkeit sind Normen, in denen Werte ausgedrückt werden. Sie erinnern sich an das Nüchternheitsgebot, oder daran, dass sich ein Priester bloß nicht versprechen darf bei den Einsetzungsworten während der Wandlung? Da ging es um Wertschätzung, die genormt wurde – Frömmigkeit heißt: so machen wir das. Wenn dann plötzlich die Normen zu Werten werden, wenn nur noch darauf geachtet wird dass die Worte im Hochgebet stimmen, dass die Osterkerze auch dreimal in das Weihwasser getaucht werde, dass ja auch alle ehrfürchtig knien während der Wandlung, dann stimmt etwas nicht – da werden Normen zu Werten – da habe ich Angst vor frommen Menschen.

Zeichen der Spiritualität

Woran erkennt man einen Christen – wie kann ich, ohne Christ zu sein, die Religion oder die Zeichen der Frömmigkeit zu erkennen, jemanden als Christen erkennen? Oder umgekehrt: wie zeige ich mich als Christ jemandem gegenüber, der Christen nicht kennt?

Dafür ist nicht Religion, nicht Frömmigkeit, dafür ist Spiritualität zuständig! Spiritualität meint zuerst eine Haltung, einen Geist, der meinen Alltag prägt und mir meinen Alltag deuten, aufschlüsseln kann – nicht irgendetwas, was nur in den Raum der Kirche gehört, sondern was seinen Ort vor allem in der Welt hat. Spiritualität ist alltäglich und alltagstauglich.

Spiritualität ist als Zweites dialogisch: sie wird von dem, was in der Welt geschieht, was mit den Menschen und mit mir selbst geschieht, herausgefordert, angesprochen – und sie gibt eine Antwort. Sie ist auch dialogisch in dem Sinne, dass ich Auskunft geben kann, was ich da tue und warum ich es tue, wenn ich gefragt bin und dass ich von ihr für alle (!) verständlich erzählen kann.

Spiritualität zielt als Drittes auf ein „Mehr“ an Menschwerdung, sie hat das „Humanum“ im Blick. Meine Worte dafür sind, dass meine Spiritualität mir ein „Mehr“ an Tiefe, an Weite, an Liebesfähigkeit zu geben vermag.

Spiritualität hat als Viertes, als  christliche Spiritualität, einen Bezug zu Jesus Christus. Sie nimmt ihr Maß an der Botschaft Jesu, an der Weise des Umgangs Jesu mit den Menschen, sie nimmt Maß an Jesu Geschick, seiner Hoffnung, seinem Vertrauen, auch seinem Leiden und Sterben – hoffend, dass auch Maß an seiner Auferstehung genommen werden darf.

Ein letztes Mal: Woran erkennt man einen Christen?

Jetzt sind wir durch. Das Entscheidende an der Frage ist das „man“.

Auf dem Marktplatz der Welt genügen nicht mehr die Zeichen der Religion und die Praktiken der Frömmigkeit. Da gilt nicht mehr religiöses oder frommes Getue, da gilt „Spiritualität“. Auf dem Marktplatz der Welt geht es zunächst einmal um die Frage, wie ich den Alltag – oder wie ich die Gesellschaft, die Politik – gestalte, annehme, wen oder was ich ausschließe, zu wem oder zu was ich ja, zu wem oder was ich nein sage. Gibt es da eine Konsequenz im Geist, der ich treu bleibe und die mich zur Person, zur Persönlichkeit macht? Ist das für Außenstehende erkennbar?

Dann geht es um das „Dialogische“ – lasse ich mich in meiner spirituellen Überzeugung herausfordern von dem, was geschieht, und kann ich Rede und Antwort stehen, wenn mich jemand nach meinem Motiv fragt?

Zum Dritten geht es um das „Mehr“ an Menschwerdung, an Menschlichkeit. Bringt mich meine Spiritualität zu einem „Mehr“ an Weite, an Tiefe, an Liebesfähigkeit, und ist das für Außenstehende erkennbar?

All das kann ich teilen, diskutieren, anfragen oder anfragen lassen auch mit denen, die nicht Christ sind oder bewusst nicht sein wollen. Da haben wir eine unglaublich große Schnittmenge, die es zu nutzen gilt in der Gestaltung der Welt, der Politik, der Gesellschaft. Bis dahin bin ich noch nicht als Christ erkennbar – das teilen wir Christen mit all den Menschen, die die gleichen Fragen haben, die sich in einem Geist bewegen.

Diesen Geist nennen wir Christen den Heiligen Geist. Und die Weise, wir alltäglich handeln, wie wir und ansprechen lassen von den Herausforderungen des Lebens, wie wir das „Mehr“ an Menschwerdung verstehen, das nimmt sein Maß an Jesus Christus. Erkennen kann man nur, was man schon kennt. Es ist dieser vierte Punkt, dem drei andere vorausgehen, in dem wir uns als Christen „outen“ können, uns zu erkennen geben, und der uns dann geglaubt wird. Daran sind wir dann als Christen erkennbar und zu identifizieren. Das andere teilen wir uns mit denen, in denen auch Geist, ich wage zu sagen der gleiche Geist, wirkt. Amen.

Harald Klein, Köln