Rezension zu: Ginsburg, Tobias (2021): Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats, Hamburg

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Vorbemerkung: Was ist Männlichkeit?

Es war eine Anfrage aus dem Gefährtenkreis der Sozialarbeiter, die mich zum Buch von Tobias Ginsburg geführt hat. Acht Männer zwischen 24 und 60 Jahren gestalten für sich einen Tag zum Thema „Männlichkeit“. Über Grönemeyers Attributen-Song, wann denn nun ein Mann ein Mann sei, ist der Kreis zum Glück hinaus. Unsere Vermutung: Es geht nicht um Attribute, auch nicht um Handlungen, sondern eher um Haltungen. Daher ist eine Suche danach virulent, was denn nun „Männlichkeit“ und „Haltungen der Männlichkeit“ ausmachen. Ich suche eine Antwort in Tobias Ginsburgs Buch “Die letzten Männer des Westens“, wissend, dass ich mit hier eher mit einer Negativ-Folie auseinandersetzen werde.

Ein Abend in einer Studentenkneipe

Das Vorwort im Buch ist von Günter Wallraff, der für mich (*1961) der Urvater des investigativen Journalismus ist. Er geht der Frage nach, welche Gesellschaft wir wollen. Da Buch wird Aspekte einer Gesellschaft zeigen, die keiner vernunftbegabter Mensch wirklich haben wollen kann.

Tobias Ginsburg, Jahrgang 1986, setzt bei einem als „Alptraum“ überschriebenen Kapitel an. Die erste Gruppe der Antifeministen, der rechten Männerbünde und der Krieger des Patriarchates – so der Untertitel seines Buches – die er bereits 2009 besucht, ist eine schlagende Verbindung. „Chargierte“, Burschen in Uniform, und solche, die um Aufnahme bitten, werden beschrieben, verschiedenen Typen, denen er am Abend begegnet, die letztlich vereint sind eben durch Antifeminismus, durch Zugehörigkeit in ein rechtes männerbündisches Zusammensein – deren Riten bestätigen alle Vorurteile – und durch patriarchale politische Gesinnung. Was 2009 für Ginsburg noch wie ein vereinzelter Albtraum erschien, hat sich in den kommenden zehn Jahren mehr und mehr zu einem deutschen und – so zeigt es das letzte Kapitel seines Buches – europäischen Trend der Gesellschaft entwickelt, der seinen Platz nicht nur mitten in der Gesellschaft hat, sondern sie zu unterwandern und für ihre Zwecke zu benutzen versucht.

Die Manosphere – Die Sphäre der Männlichkeit

Ginsburg stellt zehn Jahre später die Figur des gekränkten Mannes vor, der sich in der „Manosphere“ mit anderen sammelt.

 „Ich verlor Jahre meines Lebens. Verlor Freundinnen und Freunde. Weil ich ein Mann sein wollte, weil ich glaubte zu wissen, was das ist“ (S. 37). In der „Manosphere“, der „Sphäre der Männlichkeit“ werden Bilder produziert, wie Männer zu sein haben. „Flirtcoaching“ spielt eine Rolle, samt der Techniken des Pull-Vorgangs, des Frame-Setzens, das Necking, das Peacocking, das Ankern, der Klaue und des Pushers. Die Bewegung des MGTOW (i.e. Men go their own way) macht die Frauen dafür verantwortliche, dass diese “Methoden” nicht zielführend seien, bis hin zum Glauben, „dass es ganz ohne Weiber einfach besser sei. […] Eine Beziehung mit einer Frau kann sehr gefährlich werden. Du bist der ausgeliefert. Die muss nur was sagen, und du bist gleich der Täter.“ (S. 101f).

Die Incels – Involuntary Celebates

Die dunkelste Subsphäre seien nach Ginsburg die „Incels“, die „Involutary celebates“, also die ungewollt Enthaltsamen. Ginsburg bezeichnet sie als „ultratoxisch, labil und saugefährlich“. Alle Männer in der Manosphere sehen sich als „redpilled“ an. Hier wird Bezug genommen auf den Kinofilm „Matrix“. Dem Helden werden eine blaue und eine rote Pille angeboten. Nimmt er die blaue Pille, wird er weiter in einer Welt aus bequemen Lügen und Illusionen leben, schluckt er aber die rote, wird er aufwachen und die finstere Wahrheit erkennen. Natürlich entscheidet er sich für Rot und darf anschließend mit coolen Sonnenbrillen, Uzis und Kung-Fu gegen das bösartige System ankämpfen. Incels hätten, so Ginsburg auch noch eine schwarze Pille aus dem Kasten der Maskulinen genommen:

 „Wer blackpilled ist, der wähnt sich nicht nur unterjocht von der politisch korrekten Diktatur des Weibes, der ist auch davon überzeugt, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Keine Hoffnung auf Glück, auf Gerechtigkeit, erst recht keine auf Sex. […] Alles, was ihnen bleibt, ist der Hass: auf sich selbst, auf das Universum und vor allem auf die Frauen.“ (S. 118f)

Rechtsextreme Männerbünde und faschistische Rapper

Immer mit der Methode des zusammengefassten Interviews zieht Ginsburg seine Linien von Einzelschicksalen auf Gruppen, Kreise und Institutionen. Seine Gesprächspartner aus den Interviews und Gesprächen (und hier gilt die ausschließlich maskuline Form) sind allesamt anonymisiert, nicht so jedoch die Politiker und die Künstler, besonders die Rapper, die Gruppen, Kreise und Institutionen führen. So wird das Netz der Neuen Rechten (S. 133-172) anhand von Häusern von Studentenverbindungen, Lokalitäten und Wohnzimmern von Politikern verschiedenster Couleur – nein, eben nicht, verschiedenster Parteien muss es heißen, die „Farbe“ ist dieselbe – deutlich. Dem Leser wird klar: Hier geht es nicht um Probleme aus Sachsen oder Sachsen-Anhalt, wenn von einem Keller einer Studentenverbindung in Bonn, Düsseldorf oder Marburg die Rede ist. Man kann die Deutschlandkarte an vielen Orten markieren, und diese „Orte“ sind bestens vernetzt. Am Beispiel eines deutschen Rappers, des Einsatzes der Social Media und einiger Online-Magazine verschiedener rechter Gruppierungen vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene zeigt Ginsburg die Bedeutung der Musik und anderer vor allem Sozialer Medien für diese Vernetzung der rechten Gruppierungen auf.

Vernetzung über die Grenzen hinaus

Ginsburg schildert im letzten Teil seines Buches einige Besuche in Polen. Seine These scheint zu lauten, dass von hier der internationale Feldzug gegen die Menschenrechte gesteuert werde. Einer seiner Gesprächspartner dort wird zitiert:

 „Die Kirchen haben versagt als Wächter von Moral und Gesellschaft. Nun müssen wir den leeren Raum, den die Kirche hinterlässt, einnehmen. Wir dürfen das nicht den Linken überlassen! Wir brauchen eine Interessengruppe, ein Internationales Netzwerk. Wir müssen genau so etwas aufbauen, wie George Soros es getan hat. Und das bauen wir jetzt auf“ (S. 271).

George Soros ist ein Investor und Philanthrop jüdischen Glaubens, dem die „Rechte“ weltweit eine jüdische Weltverschwörung unterstellt. Das, was unterstellt wird, soll nun „von rechts“ als internationales Netzwerk im Sinne einer „Gegenmacht“ aufgebaut werden. Soll aufgebaut werden? Nein, es wird gerade aufgebaut!

Fazit: Was das Buch leisten kann

Es macht wach und hellhörig. Orte werden genannt, Vereinigungen, Namen von Politikern, von Adeligen und Kirchenmännern sowie deren Verstrickung in die neue „Neue Rechte“. Gruppierungen tauchen auf, die nachzuschlagen sich lohnt, wie die TFP (Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum) oder dem WCF (World Congress of Families); beide international tätig, aber erst die Beschäftigung mit den Mitgliedern zeigt das wahre Antlitz und die Gesinnung dessen, um was es geht. Die Beziehungen zwischen den Rechten Gruppen Europas und z.B. der katholischen Kirche werden genannt.

Ginsburg greift die in seinen Augen auf dem rechten Auge blinde Zuversicht an. Er schreibt zum Ende des Buches:

 „Zuversicht… vielleicht ist das genau das Problem. Egal, wie groß die Risse in unserer Demokratie und wie laut die Krieger des Patriarchats geworden sind, da ist dieser Grundoptimismus, den wir in Deutschland doch alle haben. Auch ich, selbst nach diesem langen Jahr voller Wahn und Hass. Alles sei Polen ganz weit weg. Als wären alle meine Bekanntschaften des letzten Jahres bloß skurrile Ausnahmeerscheinungen. Als sei es sicher, dass sich auch die offene und pluralistische Gesellschaft am Ende durchsetzen wird. Durchsetzen muss. Einfach, weil es selbstverständlich sein müsste.“ (S. 320)

Das ist es eben! Sie müsste selbstverständlich sein. Jetzt weiß ich (nicht zum ersten Mal): Die offene und pluralistische Gesellschaft ist eben nicht selbstverständlich. Im Gegenteil. Sie ist gefährdet und wird unterwandert – und ich nehme es kaum wahr.

Wenn unsere Frage im Gefährtenkreis oben war, was denn „Männlichkeit“ nun ausmache, so wird ein Puzzleteil der Antwort sein: Lass uns nicht so sehr über „Männlichkeit“ nachdenken und den Blick auf „Menschlichkeit“ lenken, denn die bleibt ja, wenn ich meine „Männlichkeit“ lasse.

Und ein zweites Puzzleteil könnte sein: Wachsam sein gegen die Kräfte, die einer offenen und pluralistischen Gesellschaft bedrohlich gegenüberstehen, und nach meinen und mit unseren Kräften versuchen, mit Gefährten und Gleichgesinnten dagegen anzugehen und eben einzutreten für diese Offenheit und für diesen Pluralismus in der Gesellschaft, in Mikro-, im Meso- und im Makrobereich.

Köln, 08.01.2022
Harald Klein