Die verschiedenen (Aus-) Richtungen von Versöhnung
Die Leitfrage unseres Heftes „Versöhnung geht. Wohin?“ kann in einer kleinen „Reihe“ von vier Treffen einen roten Faden darstellen. Ein erstes Treffen kann sich um das „innere Exil“ drehen, um die Erfahrung, mit sich selbst an dem einen oder anderen Punkt „un- versöhnt“ zu sein. Ein zweites und drittes Treffen zielt dann auf das „äußere Exil“ hin, auf Unversöhntheit in der Gruppe oder in den Gemeinschaften, in denen wir leben und mit denen wir unterwegs sind, aber auch auf Unversöhntheit mit den „Weltläufen“, in denen wir stehen.
Grundlagen für diese Treffen sind einmal unsere eigenen „Allge-meinen Grundsätze“, zum anderen aber ein Rückgriff auf methodi- sche Vorschläge aus unserer Werkmappe.
Ziel der Treffen soll es sein, das eigene „Leben in all seinen Dimen- sionen mit der Fülle des christlichen Glaubens in Einklang zu brin- gen“ (vgl. AG Nr. 4: „Unser Charisma“). Und ein Geschenk dieser kleinen Reihe kann es sein, das eigene Leben, das Leben in der Gruppe oder den Gemeinschaften und schließlich das Leben in der Welt, in der wir leben, in Einklang zu bringen. Die in den Gebetshil- fen beschriebene (Aus-)Richtung des Lebens auf mehr Fruchtbar- keit, mehr Zukunft und mehr Hoffnung hin sei auch die (Aus-) Richtung dieser Treffen.
Erstes Treffen: Versöhnung mit mir selbst
„Schuld ist nicht das letzte Wort“ – so ist eine Übung in der Werkmappe überschrieben. In diesem ersten Treffen geht es um die Er- fahrung eines „inneren Exils“. Damit sind zum einen innere Haltungen, Wesenszüge, Verhaltensmuster gemeint, die mich „einmauern“. Und das in einer Weise, in denen ich infolgedessen anderen etwas schuldig bleibe, vielleicht sogar so, dass ich anderen gegenüber schuldig geworden bin.
Als Methode sei das „Beten mit einer Schriftstelle“ vorgeschlagen, – in Anlehnung an die „Gebetshilfen“ etwa die Verleugnung des Petrus (Lk 22,54-62) gemeinsam mit der Begegnung mit dem Auferstandenen (Joh 21,1-14.15-19). In der Gruppe wird nach dem Vorlesen zunächst zusammengetragen, wie der Schauplatz ausgesehen haben mag, wie die Menschen aussehen, welche Stimmung herrschen mag usw. In einer sich anschließenden Zeit des Verweilens kann die Frage des Auferstandenen an Petrus so gehört werden, als würde sie an „mich“ gestellt: „Liebst du mich?“ Kein Vorwurf, keine Klage, sondern nur diese eine wiederholte Frage. Welche Antwort gebe ich? Ist es die Antwort, die Petrus gibt, ist es eine andere? Und was geschieht in und mit mir, wenn ich diese Antwort gebe?
Ein Austausch über all das schließt sich an. Und in einem weiterführenden Gespräch können folgende Erfahrungen angesprochen werden: In welcher meiner inneren Haltungen, Wesenszüge, Verhaltensweisen bleibe ich mir selbst etwas schuldig, lebe ich im „Missklang“ mit mir selbst? Wo gibt es Schuld und die Erfahrung von Vergebung in der Beziehung zu mir selbst, vielleicht auch in der Beziehung zu anderen? Wie geht es mir mit der Erfahrung von Schuldeingeständnissen mir (oder anderen) gegenüber?
Das (fälschlich oft Friedrich Oetinger zugeschriebene) Gebet um Gelassenheit des amerikanischen Philosophen und Theologen Reinhold Niebuhr (1892-1971) kann als gemeinsamer Abschluss gebe- tet werden. In der Auswertung des ersten Treffens geht es in einer kurzen Anhörrunde nicht nur um einen Rückblick auf Methode und Ablauf des Treffens, sondern vor allem darum, was der/die Einzelne für sich mitnimmt und was für die Gruppe jetzt wichtig sei.
Zweites Treffen: Versöhnung in der Gruppe und in den Gemeinschaften, in denen ich lebe
In einem zweiten Treffen geht es um Unversöhntheit in der Gruppe oder in den Gemeinschaften, in denen wir leben und mit denen wir unterwegs sind. Dieses Treffen zielt in seiner (Aus-)Richtung auf ein Leben in größerer Fruchtbarkeit, mit einem „Mehr“ an Zukunft und „Mehr“ an Hoffnung hin.
Zu Beginn kann ein Gebet gesprochen werden, das sowohl Erkenntnis der Schuld als auch die Barmherzigkeit Gottes an- und ausspricht. Eine Zeit der Besinnung kann für alle Teilnehmenden in der Gruppe durch fünf Fragen eine gemeinsame Struktur bekommen:
- Kannst du so wie Jesus Menschen vergeben, die dir Leid, Unrecht, Böses … zugefügt haben?
- Bist du bereit, dich vorbehaltlos von Gott lieben zu lassen?
- Was hindert dich, Menschen so anzunehmen, wie sie sind?
- Welche deiner Erwartungen an andere Menschen (z.B. deine Familie, deine Gruppenmitglieder) überfordern, belasten oder entmutigen sie möglicherweise?
- Welches ungute Verhalten oder welche ungute Angewohnheit möchtest du von Gott verwandeln lassen?
Jedes Mitglied ist eingeladen, eine persönliche Vergebungsbitte für sich zu formulieren und aufzuschreiben. Die Bitten werden in Umschläge gegeben, die dann verschlossen werden.
Je nach Vertrautheit in der Gruppe kann sich ein Austausch über die Zeit der Besinnung anschließen. Das Treffen kann mit dem Lied „O Herr, nimm unsre Schuld“ (GL 273) beendet werden. Die Umschläge können dabei entweder in einer feuerfesten Schale verbrannt werden; alternativ nimmt jeder den Umschlag eines anderen mit nach Hause mit der Zusage, in diesem Anliegen füreinander zu beten. Gut ist es, mit einem gemeinsamen Essen das Treffen abzuschließen.
Drittes und viertes Treffen: Versöhnung mit der Welt, in der wir leben
Wieder ist die (Aus-)Richtung des Treffens ein „Mehr“ an Fruchtbarkeit, Zukunft und Hoffnung. Jetzt stehen die persönlichen „Unversöhntheiten“ mit der Welt, in denen die Einzelnen leben, und die Weise, wie sie erlebt werden, im Mittelpunkt.
Im Vorfeld sind alle eingeladen, aus Zeitungen oder mit ausgedruckten Überschriften von Online-Diensten „Schlagzeilen“ in die Mitte zu legen, die in den Einzelnen Widerspruch und Unversöhntes „schlag-wort-artig“ ausdrücken. In einer Zeit der Besinnung sind alle eingeladen, einen kurzen „Leserbrief“ zu schreiben, in denen ihr Protest ausgedrückt wird.
In einer Anhörrunde stellen die Teilnehmenden ihren Leserbrief vor, nach jedem Brief bleibt Zeit zum Nachklingen.
Am Ende geht es in einer Zwischenauswertung um drei Fragen:
- Wie ging es dir beim Schreiben des Briefes?
- Wie geht es dir mit dem, was du gehört hast?
- Was möchtest du jetzt am liebsten tun?
In einem gemeinsamen Austausch steht in einer abschließenden kurzen Anhörrunde bei diesem dritten Treffen vor allem im Blickpunkt, wie es den Einzelnen mit Methode und Ablauf gegangen ist und was jeder Einzelne für sich selbst aus dem Treffen mitnimmt. Es soll auch gefragt werden, ob aus dem Gehörten für die Gruppe etwas wichtig geworden ist.
In einem die kleine Reihe abschließenden vierten Treffen geht es um Anstöße zum Handeln. Zu Beginn wird in einer Anhörrunde an das vergangene dritte Treffen erinnert: was hast du vom letzten Treffen mitgenommen? Was davon ist in deinem Alltag wieder aufgetaucht? Wo bist du seitdem vielleicht auf Neues zum Thema (an- dere Aspekte, Fragen, Ermutigungen …) gestoßen?
In einer Stille werden zu einer zweiten Anhörrunde strukturierende Impulse ausgelegt: Bei welchem Thema oder in welcher Situation wirst du schnell aufmerksam? Warum? Was treibt dich am meisten zum Handeln? Was gibt dir Mut, Schwung und Durchhaltekraft? Was bremst oder hindert dich oder hält dich ganz ab? Was setzt dich innerlich unter Druck? Wie wirkt sich solcher Druck auf dein Handeln aus? Nach dieser Anhörrunde leitet eine Besinnung zu vier Fragen einen Austausch in der Gruppe ein:
- Was bewegt dich jetzt?
- Ist deine Zivilcourage gefragt?
- Möchtest du aktiv werden? Wie?
- Sollte die Gruppe als Ganze aktiv werden? Wie?
Im Austausch sollen Entscheidungen des Einzelnen oder eine Entscheidung der Gruppe als Ganze formuliert und festgehalten wer- den. Sie stellen Anstöße zum Handeln auf ein „Mehr“ an innerer und äußerer Versöhnung und ein „Mehr“ in Richtung „Fruchtbarkeit“, „Zukunft“ und „Hoffnung“ dar.
Mit diesen vier Vorschlägen zur Gestaltung kann ein kleiner Schritt der Versöhnung und der Überwindung eines „inneren“ und eines „äußeren“ Exils gegangen werden. Es geht um „Einklang“ mit sich selbst, mit anderen, mit der Welt, so, wie es sich zeigt. Viel Mut, Segen und innere Führung auf diesem Weg!
Harald Klein, Köln,
unter Bezug auf die Werkmappe der GCL