Der Gruß Jesu: „Friede sei mit Euch!“
Für den Auferstandenen war er selbstverständlich, beinahe kennzeichnend, der Gruß „Friede sei mit euch!“ Ich habe die Stellen nicht gezählt, aber denken Sie an die Erscheinungen in Jerusalem, an die Beauftragung de Jünger und an die Thomasgeschichte, oder schon früher, zu Lebzeiten Jesu und bei der Aussendung der zweiundsiebzig Jünger: „Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: „Friede diesem Haus! Und wenn dort in diesem Haus ein Mann des Friedens wohnt, wird der Friede, den ihr ihr wünscht auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren“.
„Friede sei mit euch!“ – in den Gottesdiensten ist dieser Gruß den Bischöfen vorbehalten; der Priester eröffnet mit „Der Herr sei mit euch!“ oder mit einem Zitat aus einem Paulusbrief: „Gnade und Friede von Gott unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus sei mit euch.“
„Friede sei mit Dir…“ – wenn der Gruß Ihnen gilt
„Friede sei mit euch!“ – meine arabischen Studierenden, gleich ob Moslems oder syrische Christen, begrüßen sich und mich mit „Salam“; jüdische Studierende würden sich und mich vermutlich mit „Shalom“ begrüßen. In meiner Studienzeit in Innsbruck war der Alltagsgruß noch ein „Heil“ – das wurde uns Deutschen ausgetrieben, weil es den Aspekt des Friedens verloren hat. Schade, ist doch der Wunsch des Friedens für die, die mir begegnen, ein Wunsch, der viel tiefer geht als ein der eines „Guten Tag“.
Lassen Sie uns mal ein wenig philosophieren. „Friede sei mit Dir!“ – was passiert, wenn dieser Gruß Ihnen gilt, wenn er Sie trifft? Was assoziiert er bei Ihnen, welche Bilder, welche Emotionen werden angesprochen?
Sie können ganz außen anfangen: „Friede sei mit Dir!“ – da wünscht Ihnen jemand, dass Sie keinen Krieg erleben, keine Gewalt. Da wünscht Ihnen jemand, dass die Verhältnisse um Sie herum so sein mögen, dass Sie ruhig, in Frieden leben können, angstfrei. „Du, ich wünsche Dir den Frieden um Dich herum!“ – Und jetzt die Frage: Woran erkennt der, der Ihnen das wünscht, dass es so ist? Dass sein Wunsch Ihre Wirklichkeit beschreibt? Dass Sie mit der Welt um sich herum in Frieden sind?
Oder Sie gehen einen Schritt zurück, ziehen den Kreis etwas kleiner. „Friede sei mit Dir!“ – das kann einer zum anderen sagen. Sie sagen es jemandem, mit dem Sie bisher im Krieg waren – oder umgekehrt: Jemand, der mit Ihnen im Krieg war, wünscht Ihnen jetzt Frieden. Die Bilder des Kleinkrieges malen Sie sich bitte selber aus, auch die Emotionen, die damit verbunden sind. Jetzt ist es nicht mehr: „Du, ich wünsche Dir den Frieden um Dich herum!“ Jetzt ist es „Du, ich wünsche Dir den Frieden mit mir, und wünsche mir den Frieden mit Dir!“ Und jetzt zum zweiten Mal die Frage: Woran erkennt der, der Ihnen das wünscht, dass es so ist? Dass sein Wunsch Ihre Wirklichkeit beschreibt? Dass Sie mit denen um sich herum in Frieden sind?
Und dann der kleinste der Räume: „Friede sei mit Dir!“ – das kann auch heißen, dass Sie in Frieden mit sich selbst sind. Dass Sie aufhören, Krieg gegen sich selbst zu führen. Dieser Krieg kann viele Formen und Gesichter haben: Karriere und Aussehen, Ansehen und Gesundheit, Geld und Besitz. Aber auch Schuld und Vergebung, Scham und Selbstbild, Brüche und fehlende Kraft zum Neubeginn. Das „Friede sei mit Dir!“ wandelt sich zum „Friede sei in Dir!“ Und jetzt zum dritten Mal die Frage: Woran erkennt der, der Ihnen das wünscht, dass es so ist? Dass sein Wunsch Ihre Wirklichkeit beschreibt? Dass Sie mit sich selbst in Frieden sind?
Das Bild der offenen Tür
„Friede sei mit Dir!“ – was passiert, wenn der Gruß Sie trifft? Dem, der sich diesem Gruß achtsam stellt, gelten alle drei Ebenen: um Dich herum – neben Dir – in Dir! Und spüren, dass Sie auf allen drei Ebenen in Frieden sind, kann man an dem Grad, inwieweit Ihre Türen offenstehen. Gehen Sie drei Ebenen einmal – von hinten nach vorn – durch. Gibt es in Ihnen eine Tür, durch die alle Brüche, alle Schuld, alles Versagen und alle Scham in Berührung und Begegnung kommen dürfen mit allem Gelungenen, allen Erfolgen und allem Glänzenden in Ihrem Leben? Gibt es in Ihnen eine Tür, durch die Sie hinausgehen, um denen neben Ihnen wieder die Hand zu reichen, mit denen Sie Frieden wünschen – oder umgekehrt: die zum Hereinkommen denen offensteht, die diesen Frieden mit Ihnen suchen? Und schließlich die Welt um sich herum: haben Sie da eine Tür offen für diejenigen, die Frieden suchen und denen Ihre offene Tür sagt: „Friede sei mit Dir, mit Euch?“ An dem Maß, mit dem bei Ihnen Türen offenstehen, kann man erkennen, ob und in welcher Weise Sie in Frieden sind – oder in Frieden gelassen werden wollen, der sich dann aber schnell zu einem faulen Frieden auswächst.
Der Auferstandene, so erzählen es die Evangelien, kann die verschlossenen Türen überwinden und ist auf einmal im Raum. Das gibt Hoffnung. Ich wünsche Ihnen und mir, dass in seinem Geist die verschlossenen Türen geöffnet werden, und ich möchte nicht mit „Amen“, sondern mit seinem Gruß enden: „Der Friede sei mit Euch.“
Harald Klein, Köln