„… wie Dich selbst.“ – Über die Selbstliebe

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Die Ausgangssituation – es geht um das ewige Leben!

Bei Lukas ist es ein Gesetzeslehrer, im Markusevangelium der reiche Jüngling, der zu Jesus kommt und ihm die Frage stellt: „Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Beide Male verweist Jesus auf das jüdische Gesetz: „Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest Du?“ Und hier wie dort kommt prompt die Antwort: „Du sollst den Herrn, Deinen Gott, lieben, mit Deinem ganzen Herzen und deiner Seele, mit Deiner Kraft und Deinem ganzen Denken, und Deinen Nächsten wie Dich selbst.“

Die Antwort mag für den heutigen Sonntag genügen. Über den barmherzigen Samariter ist schon viel gepredigt worden.  Ich möchte heute nur bei dieser Antwort auf die Frage bleiben: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“

Eine selten gebeichtete Sünde

In der Antwort des Gesetzeslehrers stecken ja letztlich drei Gebote drin: (1) Du sollst Gott lieben – (2) Du sollst den Nächsten lieben – (3) Du sollt Dich selbst lieben.

Ich bin mir sicher, dass Sie in Ihren Beichten das erste und das zweite Gebot, Gottes- und Nächstenliebe, ins Gespräch bringen. Ich bin mir aber auch sicher, dass noch niemand von Ihnen in der Beichte vorgebracht habe, er oder sie hätten sich selbstin zu geringem Maße selbst geliebt. Nein, das sagt man nicht! Da gibt es andere asketische Worte: Das Ich abtöten, Verzicht üben, Entsagen usw.

Eine große Frage aus der Religionspsychologie ist, wie ich einen anderen Menschen lieben kann, wenn ich mich nicht selber liebe. Und ob und wie ich Gott lieben kann, wenn ich mich nicht selber liebe – ist es dann wirkliche Liebe, oder ist es Furcht? Oder wie denn Gott mich lieben kann, wie ich seine Liebe annehmen kann, wenn ich mich nicht selbst liebe, nicht selbst annehmen kann?

Vier Grundmuster der Beziehung zwischen „Dir“ und „mir“

In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts entstand ein gutes Modell, das die Beziehung zwischen „Dir“ und „mir“, zwischen meinem „Nächsten“ und „mir“, vielleicht sogar zwischen Gott und mir auszudrücken versuchte. Diese psychologische Richtung heißt Transaktionsanalyse, und sie arbeitet mit vier möglichen Weisen, wie „Ich“ und „Du“ einander begegnen können.

Da ist ein erstes Beziehungsmodell, das sagt: „Ich bin ok – Du bist nicht ok!“. So handeln Machtmenschen, hier geht es um Abwertung des anderen als Möglichkeit, selbst „groß“ zu sein. Es ist die Versuchung der Besserwisser, der Macher und der Organisatoren. Und es ist ein oft verkündigter Gesetzesgott, der Buch führt über die Sünden der Menschen. „Ich bin ok – Du bist nicht ok!“ – ganze Generationen wurden im Glauben an diesen Buchhalter-Gott religiös verzogen. So wächst und erwächst weder eine Liebe zu Gott noch zum Nächsten. Das Gebot der Selbstliebe verkommt hier zum Narzissmus dessen, der sich ok wähnt. Größe kann einer nur haben, indem er andere klein macht.

Ein zweites Beziehungsmuster ist „Ich bin nicht ok – Du bist nicht ok“. Hier lehnt sich das Ich ab und überträgt diese Selbstablehnung auf den anderen. Menschen, die sich in diesem Modus begegnen, ringen mit der Zusage Gottes oder der Zusage von Menschen, dass sie geliebt seien, und sie werden immer wieder etwas bei andren, beim Nächsten, bei Gott finden, das ein „Du bist ok“ zu verhindern weiß, geschweige denn ein „Ich liebe Dich!“. Von Selbstliebe kann keine Rede sein, von Liebe zum Nächsten hin auch nicht – und die Gottesliebe ist wohl eher ein Ringen, wie ein Verzweifeln an der eigenen Unzulänglichkeit und an der Unzulänglichkeit anderer.

Ein drittes Beziehungsmuster ist „Ich bin nicht ok – Du bist ok“. Hier wird der Nächste, wird Gott ständig gelobt, hochgehalten, auf den Schemel gestellt – und ich selbst komme da gar nicht mit. Den Nächsten lieben geht nicht – er ist so perfekt, so anbetungswürdig, im Vergleich zu mir. Mich selbst lieben? Wie könnte ich, angesichts meiner vielen Schwächen und Fehler und vor allem angesichts der Stärke und Größe der anderen?

Bleibt das vierte Beziehungsmuster: „Ich bin ok – Du bist ok“. Hier kann ich mich einigermaßen anerkennen und gelten lassen, so, wie ich bin, und ebenso den anderen anerkennen. Fähigkeiten und Stärken sind gegenseitig Grund zur Freude, Von den Grenzen mag die „die Liebe erträgt alles“ aus 1 Kor 13 gelten.

Nur in diesem Muster gelingt wirkliche Selbstliebe. Ich darf morgens in den Spiegel schauen und mir sagen: vor Gott, vor Dir selbst bist du ok, in Ordnung, von Gott geliebt… – suchen Sie es sich aus.

Nur in diesem Muster gelingt wirkliche Nächstenliebe. Ich überbewerte und ich unterbewerte den anderen nicht, sondern nehme ihn, wie er ist, den „unter die Räuber Gefallenen“, die Geflohenen, den Ehemann, der einen Schlaganfall hatte, den Freund, der die Arbeit verlor.

Und nur in diesem Beziehungsmuster gelingt wirkliche Gottesliebe. Gott sieht in mir sein Kind, sein „Du“, sein „Für mich bist du ok“ – und ich in ihm den liebenden Vater, dem es um mein Leben geht, ums Leben für mich und um Leben im Miteinander. Sie erinnern sich: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Fangen Sie einfach immer wieder an, sich selbst zu lieben – in dem Maß, wie Sie den anderen und Gott begegnen wollen. Schauen Sie morgen früh in den Spiegel, blinzeln Sie dem lieben Gott zu und sagen Sie ihm im Brustton der Überzeugung: „Ich bin ok – und Du bist ok.“

Amen.

Köln, 14.07.2019
Harald Klein