„Zwei sind besser als einer allein“ – eine kleine Mengenlehre zur Hochzeit von Anna und Kilian

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Einleitung

Liebe Anna, lieber Kilian,
liebe Familien K. und B.,
liebe Freundinnen und Freunde von Anna und Kilian,

Erinnern Sie sich noch – ich zitiere: „Solltet Ihr noch weitere Fragen dazu haben dann meldet Euch einfach bei Anna oder mir. Wir freuen uns mega auf Euch und können es gar nicht erwarten zu heiraten und mit Euch zu feiern.“

Sie erkennen es sicher. Das war das Ende der Mail mit den dezenten Hinweisen in Sachen Pandemie, die Du, Kilian, uns allen am 26. Juni geschrieben hast, fast schon einen Monat ist es her. „Wir können es gar nicht erwarten zu heiraten“ – wie mag es wohl mit Eurer Erwartung, endlich zu heiraten, weitergegangen sein? Man könnte meinen: Und jetzt ist es so weit – jetzt gilt es!

Aber vorher noch ein paar Worte zu den beiden Texten aus dem Alten und Neuen Testament, die Ihr beide Euch ausgesucht habt. Wenn ich eine Überschrift zu dem, was ich sagen möchte, suchte, dann entschiede ich mich für „Eine kleine Mengenlehre zur Hochzeit“.

„Es kommt vor, dass jemand alleinsteht…“

„Es kommt vor, dass jemand alleine steht.“ Mit dem Alleinstehenden beginnt die Lesung aus dem Buch Kohelet. Alleinstehend – das ist ein schillernder Begriff. Für das kleine Kind klingt es nach Lob: es kann schon „alleine stehen“, ganz ohne fremde Hilfe. Beim Erwachsenen, beim reifen Menschen setzt man das voraus – er ist „selbst-ständig“, kann auf eigenen Füßen, kann alleine stehen und bestehen. Aber bei der Feier der Hochzeit klingt das Wort „alleinstehend“ irgendwie „bedürftig“, klingt nach „noch suchend“ oder nach „schon verlassen“.

Mit der standesamtlichen Hochzeit hat sich das „alleinstehend“ – im Amtsdeutsch sagen wir „ledig“ – für Euch beide verändert. Aber es war wohl nicht das Ja-Wort dort auf dem Amt, dass diese Veränderung lebbar, spürbar gemacht hat. Die Frage nach dem „Stand“ – so alt wie die Ständegesellschaft des späten Mittelalters – verändert sich je nach dem, wie der eine zur anderen oder zum anderen „steht“ – und neben dem Stehen zueinander gibt es auch und immer noch die Weise, wie der eine und wie die andere trotz Hochzeit selbst stehen möchte, selbständig eben. Das soll Euch keiner nehmen.

Nach dieser kleinen Vorrede jetzt die „Mengenlehre“.

Der Salzburger Theologe Franz Gmainer-Pranzl unterscheidet drei Weisen, in denen Menschen miteinander leben. Da ist die exklusive, dann die inklusive Gemeinschaft und zum Dritten die Gefährtenschaft.

Exklusive Gemeinschaft, das meint „Ich und Du“, zwei, die zusammengehören und miteinander leben und füreinander eintreten wollen. Das feiern wir hier und jetzt in Eurer Trauung, in Eurem Ja zueinander.

Inklusive Gemeinschaft umfasst diejenigen, die in einer Ordens- und andersförmigen Gemeinschaft leben. Sie sind Teil von einer irgendwie verfassten Gruppe, das Moment der Exklusivität ist hier nicht gegeben. In gewisser Weise sind das all die, die jetzt nicht nur hinter Euch sitzen, sondern auch, zum Teil seit Jahren, hinter Euch stehen. Und diese Form der Gemeinschaft geht über die Familienbande hinaus.

Schließlich die Gefährtenschaft – für mich sicher das schönste Wort des Jahres 2019, als ich den Artikel entdeckte, der mir so vieles erschlossen hat. Franz Gmainer-Pranzl macht deutlich, dass er den Begriff der Ehelosigkeit satthat, das man vom alleine stehen“ und ständig selbst“ sein müssen geistlich, aber auch leiblich nicht satt werden kann. Oder das Bedauern der anderen darüber, dass der Alleinstehende doch nicht „normal“ leben oder sich für eine exklusive oder inklusive Form der Gemeinschaft entscheiden könne – und da hat er meine ganze Zustimmung.

Es geht in allen drei Formen von Gemeinschaft um vielfältige Formen, Liebe zu leben. Gmainer-Pranzl betont, dass der, der alleine steht, dass die, die alleine steht, anderen eben Gefährte und Gefährtin sein kann. Da, wo jemand lebt, steht – auch alleine steht -, kann er, kann sie andere begleiten und sich begleiten lassen, kann mitgehen oder bremsen, kann er, kann sie Gefährtin und Gefährte sein, kann da sein für andere. Ich bin mir sicher, dass der Titel des ersten Teils des „Herrn der Ringe“ für mich dieses Wort des Gefährten so aufwertet, trug dieser erste Teil doch den Titel „Die Gefährten“.

Warum sage ich Euch das alles? Weil ich Euch von Herzen wünsche, dass das „Wir können es gar nicht erwarten zu heiraten“ eben nicht nur der sakramentale Startschuss für eine Exklusive Gemeinschaft als Mann und Frau ist. Natürlich gilt mit der Hochzeit erst einmal das „Du und ich“, und wenn künftig jemand den Kilian fragt, wohin es in Urlaub geht, und er antwortet, „Wir fahren ins Ötztal!“, dann weiß jeder, wer sich hinter dem „Wir“ verbirgt!

Darüber hinaus gibt es aber auch die Inklusive Gemeinschaft der Familien, der Freundeskreise und der Beziehungen, die ganz fest zu Euch beiden gehören, innerhalb derer Ihr ein Teil seid und bleibt. Und es gibt die Gefährtenschaft – auch in der Ehe. Nicht nur, wie es in Kohelet heißt, wenn einer dem anderen aufhilft und ich n wieder aufrichtet, weil sie gefallen sind; auch nicht nur, weil einer den anderen wärmen kann, wenn man beieinanderliegt.

Und es gibt eine Besonderheit: Die Gefährtenschaft schließt auch ein, dass Du Dir selbst Gefährte und Du Dir selbst Gefährtin bist. Dem „Ich nehme Dich an als meine Frau, als meinen Mann“ setzt das „ich nehme mich an“ unbedingt voraus. Und die vielen Formen von Gemeinschaften können helfen, dieses „Ich nehme mich an“ zu stärken und zu kräftigen. Ich bin überzeugt davon, dass Menschen einander nur treu sein können, nur Liebende füreinander sein können, wenn sie Menschen sind, die sich selbst lieben und sich selbst treu bleiben. Wenn das gegeben ist, die Treue zu sich selbst und die Liebe zu sich selbst, dann kann Liebe und Treue in der Exklusiven Gemeinschaft der Ehe, in der Inklusiven Gemeinschaft der familiären Bindungen und auch in der Gefährtenschaft gelebt werden.

„Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht“

Ja, und dann noch das Gleichnis vom Winzer, vom Weinstock und vom Fruchtbringen aus dem Johannesevangelium. Hier kommt in der Frage nach der Gemeinschaft ein Dritter und – je nachdem, wie man es sieht – sogar ein Vierter ins Spiel. „Ich bin der Weinstock“, sagt Jesus (als Dritter). „Mein Vater ist der Winzer“ (der Vierte).

Es scheint so, als könne die exklusive Gemeinschaft der Ehe gar nicht so exklusiv sein, es scheint, als funke da ein Dritter, Christus, und ein Vierter, Gott Vater, dazwischen. Das soll mal für einen Moment die Frage sein: Wie haben Gott als Winzer und Christus als Weinstock ihre Hände im Spiel, wenn es um ein Eheversprechen und eine Exklusive, eine Inklusive Gemeinschaft und um Gefährtenschaft geht?

Zuerst einmal glaube ich nicht, dass es ein Dazwischenfunken Gottes ist, was Euer Ja, was Eure Gemeinschaft angeht. Über allem steht das „Ihr seid schon rein durch das Wort, das ich zu Euch gesagt habe.“ Es ist das große Ja Gottes, gesprochen durch Jesus, auf die hin, die sich nach ihm ausrichten und die es hören, und es ist das große Ja Gottes, gesprochen durch Jesus, auf die hin, die ihn noch nicht einmal kennen. Euer dreifaches „Ja“ gleich bei den Versprechen in der Trauung nimmt sein Maß an diesem ja Gottes zu den Menschen, das ist eine große Aufgabe, aber auch eine große Verheißung.

Als Zweites dann die Verheißung vom Fruchtbringen: Das, was der Winzer macht, ist abschneiden dessen, was keine Frucht bringt, und reinigen dessen, was Frucht bringt, damit die Frucht wächst. Das ist es, was ich meine, wenn ich vorhin davon sprach, sich selbst Gefährte oder Gefährtin zu sein und zu bleiben: ganz wach wahrnehmen, was in Dir und durch Dich Frucht bringt, was abgeschnitten oder was veredelt werden muss – damit die Frucht wächst und bleibt. Das ist der Dienst des einen an der anderen und umgekehrt, das ist der Dienst, den wir einander anbieten können: In Gottes Geist, an seiner statt abschneiden, reinigen, ins Feuer werfen, was ins Feuer gehört – und es so hinter sich lassen, damit die Sinne, das Herz frei sind, um Frucht zu bringen.

Und als Drittes das Bleiben: „Bleibt in mir, dass bleibe ich in Euch.“ Bleiben klingt so unglaublich passiv: Ich bleibe in Köln bis an mein Lebensende – Ich bleibe bei meinem Arbeitgeber – Ich bleibe bei meinem Partner, meiner Partnerin, solange ich lebe. Dazu das Jesuswort: „Bleibt in meiner Liebe!“ Das ist das absolute Gegenteil von Passivität! Um als ‚Ehemann, Ehefrau, als Gefährtin und Gefährte in Jesu Liebe zu bleiben, stehe ich mit meinem Mann, mit meiner Frau, mit meiner Familie, mit meinen Gefährtinnen und Gefährten mitten im Alltag der Welt und – höchstens zum Ausschnaufen, zum Rückzug, zum neuen Aus- und Aufrichten und zum Gebet – in der stillen Kammer. Um bleiben zu können, muss ich gehen, vorwärts gehen, mitgehen, hinterher gehen, muss ich unterwegs sein – mit dem, mit der und mit den anderen.

Da ist es gut, wenn man – wie Kohelet sagt – zu zweit unterwegs ist. Wenn beide fallen, kann einer dem anderen aufhelfen und ihn aufrichten. Da ist es – im Blick auf das Mitgehen Gottes in Christus – gut, wie Kohelet sagt: „Und wenn jemand einen Einzelnen auch überwältigt, zwei sind ihm gewachsen und eine dreifache Schnur reißt nicht so schnell.“ Hier kommt der Dritte ins Spiel! Und der dreifachen Schnur füge ich ein Wort von Aelred von Rievaulx, einem Zisterzienserabt aus dem 12. Jahrhundert, hinzu. Er beginnt einen fiktiven Dialog mit seinem Novizen mit den Worten „ecce, ego et tu, et spero tertium inter nos Christus sit“ – „Siehe, ich und du, und ich hoffe, der Dritte unter uns möge Christus sein.“

Schluss

Noch einmal Kilians Mail: „Solltet Ihr noch weitere Fragen dazu haben dann meldet Euch einfach bei Anna oder mir. Wir freuen uns mega auf Euch und können es gar nicht erwarten zu heiraten und mit Euch zu feiern.“

„Wir – mit Euch feiern“ – da sind die drei Gemeinschaften drin: Exklusive Gemeinschaft – Inklusive Gemeinschaft – Gefährtenschaft.

„Mit Euch feiern“ – da ist drin, dass Ihr Euch gefunden habt, nehmt es als Fügung und Führung Gottes; da ist die Rede vom Fruchtbringen drin, dass Ihr Euer Bestes gebt für den, für die andere, dass durch Euch etwas wachsen und werden kann, und dass Ihr einander helft, zu lassen, was hinderlich ist und zu fördern, was hilft – an Gottes Statt; da ist das Bleiben drin, was so passiv klingt und was doch höchste Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und Aktivität braucht, alle Tage Eures Lebens.  Und da ist die dreifache Schnur drin, Christus als der „tertium inter vos“, der Dritte unter Euch, der seine Wohnung in jedem einzelnen von Euch beiden und in der Exklusiven Gemeinschaft genommen habt, zu der er jetzt Ja sagen werdet, aber auch in der Inklusiven Gemeinschaft Eurer Familie und der Gefährtenschaft, deren Bestandteil Ihr seid und bleibt.

Amen.

Köln, zum 24.07.2021
Harald Klein