3. Sonntag der Osterzeit – Petrus, oder: Liebst du mich?

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Eine österliche Reset-Taste – Die Werkseinstellung wiederherstellen

Für manche ist es eine langweilige Wiederkehr, für andere ist die Wiederkehr gerade das Spannende: zum einen sind die Ostertexte strukturell – wie die Weihnachtstexte auch – Jahr für Jahr die gleichen, und man muss sich zwischen Langeweile und Heimatgefühl entscheiden; zum anderen ist dieses Evangelium von der Erscheinung Jesu am See inhaltlich so etwas wie eine Reset-Taste am Computer oder am Handy; Sie könnten es auch vergleichen mit dem Tastaturbefehl „Die Werkseinstellung der Daten wiederherstellen“. Irgendwie erinnert die Situation auch an Monopoly: „Gehe zurück zu Los!“ Und so ist es ja auch.

Wenn Sie „zurück zu Los“ gehen, wenn Sie die Berufungsgeschichte des Petrus samt des Johannes und des Jakobus im Lukasevangelium in Lk 5,1-11 neben das Osterevangelium von heute legen, haben Sie das Gefühl, die „Werksdaten“ seien wiederhergestellt: derselbe See (Gennesaret), dieselben Fischer (Simon Petrus, Jakobus, Johannes), dasselbe zunächst leere und dann – auf das Wort Jesu hin – übervolle Netz.

Das stimmt aber nur fast – denn die Jünger tun nach wie vor das, was gelernt haben und was am Anfang ihrer Geschichte mit Jesus war: sie gehen fischen. Aber sie spielen jetzt (verziehen Sie den Vergleich) in einer anderen Liga: sie haben einen langen Weg mit Jesus hinter sich. Es ist ein wenig wie beim Fußball: auch die Knirpse in der E-Jugend spielen Fußball, die Frauen und Männer in der Bundesliga spielen das gleiche Spiel, aber es nicht mehr dasselbe Spiel wie bei den Kindern, denn sie spielen jetzt anders, oder etwa nicht?

» Eines Tages wirst Du begreifen, dass Du nach dem suchst, was Du schon hast«, sagte der Meister zu seinem Schüler. »Warum sehe ich es dann nicht jetzt?« - »Weil Du Dich darum bemühst.« - »Muss ich mich also nicht anstrengen?« - »Wenn Du Dich entspannst und ihm Zeit lässt, wird es sich selbst zu erkennen geben. «
de Mello, Anthony (1994): Eine Minute Unsinn, 2. Auflage, Freiburg, 34.

Ostern erlebt haben heißt: In einer anderen Liga spielen

Schauen Sie mal hin: Die Jünger tun, was sie gelernt haben. „Simon Petrus sagte zu ihnen: ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts“ (Joh 21,3).

Allein schon das „sie gingen hinaus“ ist bemerkenswert, denn bis zu diesem Moment waren sie ja in ihrer Angst und hinter verschlossenen Türen, denken Sie an den eltzten Sonntag und den Thomas. Man könnte meinen, sie besiegten ihre Angst, indem sie das tun, was sie von klein auf gelernt haben, indem sie „back to the roots“ gehen, in alte Rollen verfallen, neu und zugleich alt anfangen, und „zurück zu Los gehen“, das aber ihr altes „Los“, ihr alter „Ausgangspunk“ ist. In der Psychologie nennt man diesen Vorgang Regression – und positiv gewendet nennt man dieses Verhalten den Versuch, Selbstkontrolle und Selbstwirksamkeit wieder zu erlangen. Und doch ist dieses Verhalten das Gegenteil von Aggression, was nichts anderes wie „an etwas herangehen“ meint. Regressiv ziehen sich die Jünger zurück in ihr altes Muster – mit Blick auf die Predigten der Heiligen Woche könnte man von einem Versuch der Rückkehr in die Komfortzone sprechen. Raus aus der Panikzone – durch Rückzug.

Ostern lässt das nicht zu! Das Evangelium setzt fort: „Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war“ (Joh 21,4). Ist ja auch kein Wunder. Wenn man mit den regressiven Augen des Anfangs schaut, kann man den, der dasteht, ja auch nicht (mehr) kennen oder erkennen. Ostern ist nicht nur Auferstehung, es ist auch Karfreitag; nicht nur „Halleluja“, sondern auch „Kreuzige ihn“. Ihn unter dem Aspekt der Angst, des Karfreitags, des Herausrufens aus den geordneten und bekannten Bahnen des Alltäglichen sehen, heißt, sich einem Trauma stellen. Da ist es leichter, nicht zu wissen, wer da am Ufer steht. Ihn erkennen könnte schmerzen, könnte Wunden wieder aufreißen.

Um das Bild der „Liga“ weiter zu bemühen: Diese Situation im Boot entscheidet über „Klassenaufstieg“ oder „Klassenabstieg“ – ein bloßer Klassenerhalt geht auf Dauer nicht, „in dieser Nacht fingen sie nichts“. Das könnte im Bild heißen, dass es weder zum Auf- noch zum Abstieg ging, dass kurzfristig Stagnation eintritt.

Das im Hinterkopf habend, macht die Wucht des folgenden Satzes erst so richtig deutlich: „Da sagte der Jünger, denJesus liebte, zu Petrus: ‚Es ist der Herr!‘“ Lesen Sie den Satz bitte nochmal. Es geht nicht um den Jünger, der Jesus liebte – es geht um den Jünger, den Jesus liebte. Das ist Ostern: Das Geliebtsein steht vor dem Lieben! Den Aufstieg in die höhere Liga des Glaubens – verzeihen Sie die doch auch holperige Analoge – schafft der, der sich zuerst von Jesus, dem Auferstandenen lieben lässt! Dieser Jünger, Johannes, ist es, der den Herrn „erkennt“ – und Sie wissen, dass dieses biblische „Erkennen“ ganz viel mit Leben empfangen, Leben weitergeben, körperlicher wie geistiger Liebe zu tun hat. Denken Sie an Maria, die in der Verkündigungsszene den Engel fragt, wie denn „das alles“ geschehen solle, da sie doch noch keinen Mann „erkannt“ habe. – Das ist das Entscheidende: mich zuerst lieben lassen, mich zuerst von ihm erkennen lassen.

» Manchmal bricht plötzlich überall die Dankbarkeit in vollen Flammen in mir aus, wenn, wie jetzt, die Freundschaften und Menschen des vergangenen Jahres in überwältigender und ganzer Größe vor mir erstehen. «
Hillesum, Ettty (2018): Das denkende Herz. Die Tagebücher 1941-1943, hrsg. von J.G. Garlands, 28. Aufl., Reinbek bei Hamburg, 205.

Geliebt werden: mich einstellen – mich aufstellen – gehen

Das, was sich anschließt, scheint diese Erkenntnis mit Füßen zu treten. Es geht um die dreimalige Frage Jesu, des Auferstandenen, an Petrus, ob er ihn denn auch liebe.

Was geschieht, wenn Sie selbst Akteur:in in diesem Schlussteil des Evangeliums sind? Wie wäre das, wenn der Auferstandene Sie dreimal fragen würde: Liebst Du mich? In den ersten beiden Fragen meint „Liebe“ im Griechischen die „Agape“, die hingebende Liebe – die ersten beiden Fragen könnten übersetzt werden mit „N. (Ihr Name), kannst Du Dich mir hingeben, mehr als diese es können – und mehr, als dass Du Dich diesen hingibst?“ Petrus antwortet beide Male mit dem griechischen „philein“, mit der Form der Liebe, die in der eigenen persönlichen Kraft ihre Wurzel hat.

In der dritten Frage greift der Auferstandene das „philein“ auf, er fragt nach dieser Weise der Liebe, hier geht es um Sympathie, Zuneigung, große Bezogenheit auf den anderen oder auf die andere. Diese Form der Liebe ist immer auch gefährdet, ist immer auch bedroht. Petrus ist das beste Zeugnis, der beste Zeuge dafür. In der dritten Frage des „Liebst du mich“ könne man meinen, der Auferstandene wechsle um eine Liga nach unten, dorthin, wo Menschen zum Versuch fähig sind, aufrichtig zu lieben und freimütig füreinander einzutreten, auch für sich selbst, selbst dann, wenn sie wie Petrus Verrat an der Liebe getan haben. Fähig, aufrichtig, freimütig – das sind auch Haltungen, die der Buddha in seiner Lehrrede über die Liebende Güte nennt. Wer den Frieden im Geist sucht, kann sich an diesen Fähigkeiten orientieren, ebenso wie alle die, die eine Antwort auf das „Liebst Du mich“ des Auferstandenen geben wollen, aus der Erfahrung des Geliebtwerdens heraus.

Wenn ich Akteur in dieser Szene wäre, sehe ich mich im Boot auf dem See, und ich würde den Herrn wohl eher nicht erkennen. Ich glaube nicht, dass ich das Herz und den Mut dazu hätte. Schlicht deswegen, weil es mir schwerfällt, mich lieben zu lassen – andersherum wäre mir es leichter. Da bräuchte ich mehr von Johannes, der aus dem Geliebtwerden von Jesus lebt – und ihn erkennt.

» Ein aufrechter Mensch wäre ein solcher Freund, der uns nicht nur unterstützt, sondern auch in der Lage ist, uns zu helfen, unsere eigenen Fehler zu erkennen. «
Khema, Ayya (2014): Nicht so viel denken, mehr lieben, Buddha und Jesus im Dialog, Uttenbühl, 4. Aufl., 25.

Aber eines kann ich tun: Mich täglich darauf einstellen, dass die Agape, die Liebe des Auferstandenen mir gilt und dass sie mir begegnet; mich täglich an den Orten und in den Begegnungen, die ich habe, mich neu aufstellen und Ausschau halten, offene Ohren und offene Augen haben für diese Frage der Agape: „Liebst Du mich – in diesen, mit diesen, für diese, die gerade hier um Dich herum sind?“ Und täglich neu aufbrechen, gehen – zu Menschen, an Orte, in denen das „phileo“ gelebt wird, die seelische Zuneigung, die Sympathie, das liebevolle Zusammensein im Austausch, in der Gefährtenschaft – um hier an diesem Ort und zusammen mit diesen Menschen zu einer Liebe der Agape zueinander und zu allen und allem Geschaffenen zu wachsen. Das wäre ein Aufstieg von der Kreisliga in die Bundesliga Jesu, mindestens. Das können Männer und Frauen und Queere, dazu brauchen Sie weder ein Amt noch eine Beauftragung noch eine Ausbildung. Mit Etty Hillesum möchte ich sagen: dazu brauchen Sie ein „denkendes Herz“. [1] Und mit der Lehrrede des Buddha über die Liebende Güte genügen die Überzeugung in die Fähigkeit, aus dem Geliebtwerden heraus lieben zu können, genügen Aufrichtigkeit und Freimut.[2]

Sie erinnern sich an das Bild von der Reset-Taste und der Rückkehr zu den Werkeinstellungen? Die Episode am See von Tiberias, am See Genezareth heute zeigt, dass Sie die Reset-Taste wohl drücken können – die Werkeinstellungen aber haben sich geändert, und zwar kräftig, und zu Ihren Gunsten!

Amen.

Köln 30.04.2022
Harald Klein

[1] Vgl. Hillesum, Etty (2018): Das denkende Herz. Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941-1943, 28. Aufl., Reinbek.

[2] Vgl. Khema, Ayya (2014): Nicht so viel denken, mehr lieben, 4. Aufl., Uttenbühl, 11.