32. Sonntag im Jahreskreis – „Seid achtsam“ statt „Seid wachsam!“

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Die fünf Sprachen der Liebe

Es steht außer Frage, dass die Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren, mindestens ebenso auf die Beziehung zwischen ihnen einwirkt wie der Inhalt, also was sie kommunizieren.[1] Der amerikanische Paarberater Gary Chapman hat in den 90er Jahren mit seinem Buch Die fünf Sprachen der Liebe[2] einen echten Bestseller geschrieben. Die Sprache der Liebe ist zunächst die Art Muttersprache, in der Sie reden, in der Sie sich selbst, Ihre meine Wünsche und Ihre Bedürfnisse äußern. Dann aber beschreibt er weitere Muttersprachen anderer Menschen, Fremdsprachen also, die Sie lernen und verstehen müssen, um mit anderen Menschen liebevoll kommunizieren und Ihre Liebe in Worte und Taten kleiden können, so, dass der oder die andere Sie auch versteht. Die fünf Sprachen der Liebe, die Chapman beschreibt sind (1) Lob und Anerkennung, (2) Zweisamkeit – Zeit zu Zweit; (3) Geschenke, die von Herzen kommen; (4) Hilfsbereitschaft; (5) Zärtlichkeit. Ich überlasse es Ihrer Fantasie, sich auszumalen, was an Unverständnis in Sachen Liebe geschehen kann, wenn ein Paar oder zwei sich nahestehende Menschen nur die eigene Sprache sprechen und die des anderen nicht versteht.

» In der christlichen Dogmatik wird Jesus der Sohn Gottes genannt. Wie aber, wir sähen in ihm ein Du, das uns nie zu einem Es macht, das nie zum Zentrum einer Aktivität wird, die uns in Objekte verwandelt, sondern das bleibend etwas ist, das mit sich reden lässt und das wir anreden dürfen? «
Drewermann, Eugen (2003): Das Johannesevangelium. Bilder einer neuen Welt. Erster Teil, Düsseldorf, 68.

Jesus und seine Sprache(n) der Liebe

Jetzt aber: Einfach gestrickte Bücher – vielleicht auch ebenso gestrickte Autorinnen und Autoren frommer Bücher oder Pappheftchen – haben die Tendenz, eine Theorie aufzugreifen und schnell zu zeigen, dass Jesus ja alle Muster dieser Tendenz in sich vereint. Franz Alt schrieb 1989 über Jesus, den ersten neuen Mann. Robert Nogosek zeigte 1996 in seinem „Jesus-Enneagramm“ auf, dass alle neun Figuren des Enneagramms in Jesus ausgewogen und erlöst sichtbar sind. Und letztlich ist die Glaubensformel von Chalkedon aus dem Jahre 451, die behauptet, dass Jesus „wahrer Gott und wahrer Mensch“ sei, auch der Versuch eines Rundumschlages, eben alles in Jesus hineinzuprojizieren, um dann ebenso alles aus ihm herauslesen zu können. So wundert es nicht, dass es natürlich auch eine Abhandlung von Gary Chapman mit dem Titel „Die fünf Sprachen der Liebe Gottes“ (5. Auflage, 2017) gibt – allerdings ein wenig irreführend; es geht weniger um die Weise, wie Gott den Menschen anspricht, sondern darum, auf welche Weise der Mensch Gott antwortet. Und doch gilt, dass Gott Sie in einer der fünf Sprachen der Liebe am ehesten erreichen könnte, wenn er Sie denn erreichen, ansprechen will. Gott ist, das kann man von Chapman lernen, für jeden Menschen auf dessen Weise, ihm entgegenkommend, ansprechend!

» Unser Herz wird immer weiter
und immer schwerer
von der Last vielfacher Begegnung,
immer schwerer von der Last deiner Liebe;
unser Herz,
gebildet von dir,
bevölkert von unseren Schwestern und Brüdern,
den Menschen. «
aus: Madeleine Delbrêl: Die Liturgie der Außenseiter, in: dies.: Gott einen Ort sichern, hg. von Annette Schlenker, Kevelaer 2007, 134ff.

„Seid also wachsam?“

Bemerken Sie bitte das Fragezeichen am Ende dieser Zwischenüberschrift. Es ist der Beginn des Schlusssatzes des heutigen Evangeliums, im dem Jesus die klugen und die törichten Jungfrauen vorstellt, die, die mit dem wenigen Öl in ihren Laternen haushalten bzw. „für alle Fälle“ noch einen Kanister dabeihaben, und die, die unbedarft mit ihren Laternen losziehen, dem Bräutigam entgegen. Sie kennen es: deren Laternen gehen aus, sie gehen und kaufen – mitten in der Nacht? – Öl, und als sie zum Hochzeitssaal kommen, sind die klugen Jungfrauen mit dem Bräutigam bereits hinter verschlossenen Türen. Und die törichten Jungfrauen stehen wie die begossenen Pudel davor.

Und jetzt sagen Sie bitte mir (oder sich selbst), wo da welche „Sprache der Liebe“ auftaucht. Sich sagen lassen zu müssen „Sei wachsam!“ weckt Angst, nicht Freude, erst recht nicht Liebe; es weist auf Gefahren hin, nicht auf spielerischen und liebenden Umgang mit dem Leben. Und auch hier gilt: Sie müssen unterscheiden, wer aus welcher Motivation was wie sagt!

» Eine schöne Definition eines erwachten Menschen: ein Mensch, der nicht mehr nach der Pfeife der Gesellschaft tanzt, ein Mensch, der zu der Musik tanzt, die aus ihm selber kommt. «
de Mello, Anthony (1992): Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein, 2. Aufl., Freiburg, 175.

„Seid also achtsam!“

Sie sehen schon: ein Ausrufezeichen! Könnte es nicht sein, dass sich hinter diesen Worten Jesu, die ihm Matthäus in den Mund legt, mehr ein „Seid also achtsam!“ als ein „Seid also wachsam!“ verbirgt?

Sie können das Bildwort von der „Ankunft des Bräutigams“ gut übersetzen mit der Entdeckung der Gegenwart Gottes – nicht irgendwann später oder woanders, sondern mit Gottes Gegenwart jetzt, in diesem Moment. Das wäre auch einer Erklärung dafür, dass ein kleiner Text aus dem Buch der Weisheit als erste Lesung und damit als Verweis, als Lesehilfe für das Evangelium ausgesucht wurde – ein Text voller Weisheit, voller Achtsamkeit:

„Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit; wer sie liebt, erblickt sie schnell, und wer sie sucht, findet sie. Denen, die nach ihr verlangen, kommt sie zuvor und gibt sich zu erkennen. Wer sie am frühen Morgen sucht, braucht keine Mühe, er findet sie vor seiner Tür sitzen. Über sie nachzusinnen, ist vollkommene Klugheit; wer ihretwegen wacht, wird schnell von Sorge frei. Sie geht selbst umher, um die zu suchen, die ihrer würdig sind; freundlich erscheint sie ihnen auf allen Wegen und kommt ihnen entgegen bei jedem Gedanken“ (Weish 6,12-16).

Bei Matthäus folgen noch zwei Gleichnisse im 25.Kapitel, ab dem 26.Kapitel geht dann die Leidensgeschichte Jesu los. Wenn Sie dieses eher Angst machende „Seid also wachsam!“ hören können mit der Sprache der Liebe Jesu gesprochen, wenn es ein „Seid also achtsam!“ meint, wenn Sie diesen kleinen Ausschnitt aus dem Buch der Weisheit als „Lesehilfe“ und dann als „Lebenshilfe“ annehmen können, dann finden Sie Gott vor Ihrer Türe sitzend, nicht irgendwann, sondern jetzt, an jedem Morgen – als einen (nicht nur Sie ) ansprechenden Gott, der mit Ihnen in Ihrer „Sprache der Liebe“ ins Gespräch kommen will. Diese Erkenntnis aus Glauben heraus könnte vielleicht auch für Sie wichtiger und näher sein als die Frage von Chalkedon, wie sich Gottsein und Menschsein in Jesus verhält.

Ein Letztes: Die Achtsamkeit betont die Wichtigkeit des Augenblicks. Eugen Drewermann schreibt im Blick auf diese Stelle:

„Schon die Kürze unserer Lebenszeit, schon die Unvorhersehbarkeit der Dauer unseres Lebens sollte uns dazu bestimmen, nichts wirklich Wichtiges auf die lange Bank zu schieben. Der einzige Zeitraum, der uns wirklich als Entscheidung zur Verfügung steht, ist der Augenblick jetzt. Es war die geniale Intuition des dänischen Religionsphilosophen S. Kierkegaard, dass einzig der Augenblick eine wahrhaft religiöse Dimension der Zeit darstellt. Nur der Augenblick gehört uns, und nur durch die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, gehören wir uns selber. Im Augenblick, meinte Kierkegaard, berühren sich Zeit und Ewigkeit und erzeugen die Möglichkeit einer Stellungnahme in Freiheit. Da gilt nicht der Zwang des Vergangenen, noch die Sorge um das Zukünftige. Jetzt!“[3]

» Das Café ist nun kein profaner Ort mehr,
dieses Stückchen Erde,
das dir den Rücken zu kehren schien.
Wir wissen, dass wir durch dich
ein Scharnier aus Fleisch geworden sind,
ein Scharnier der Gnade,
die diesen Fleck Erde dazu bringt,
sich mitten in der Nacht,
fast wider Willen,
dem Vater allen Lebens zuzuwenden.
In uns vollzieht sich das Sakrament deiner Liebe. «
aus: Madeleine Delbrêl: Die Liturgie der Außenseiter, in: dies.: Gott einen Ort sichern, hg. von Annette Schlenker, Kevelaer 2007, 134ff.

Gottes Sprache der Liebe

Am Anfang standen die fünf Sprachen der Liebe, in denen Menschen kommunizieren und sich zu verstehen suchen, um in dieser Kommunikation ihre Liebe zueinander auszudrücken. Oder mitzueilen. Oder beides!

Am Ende steht Gott, den Sie wachsam (oder besser: achtsam) erwarten dürfen. Augenblick für Augenblick. Auf den Treppen vor Ihrem Haus, besser noch: in Ihrem Haus und wo auch immer. Nur so, in dieser achtsamen, liebevollen Erwartung wird Gott „Ihr“ Gott, kein Gott der Gelehrten oder ein gelernter Gott. Der Barockdichter Andreas Gryphius schrieb im 17. Jahrhundert eine „Betrachtung der Zeit“, die hier das letzte Wort haben soll:

„Mein sind die Jahre nicht, /die mir die Zeit genommen; / Mein sind die Jahre nicht, / die etwa möchten kommen. / Der Augenblick ist mein, / und nehm‘ ich den ich acht, /so ist der mein, / der Jahr und Ewigkeit gemacht.“[4]

Amen.

Köln, 08.11.2023
Harald Klein

[1] vgl. für das Folgende [online] https://de.wikipedia.org/wiki/Fünf_Sprachen_der_Liebe [08.11.2023]

[2] Chapman, Gary (1994): Die fünf Sprachen der Liebe. Wie Kommunikation in der Ehe gelingt, Marburg, 1994.

[3] Drewermann, Eugen (1995): Das Matthäus-Evangelium. Bilder der Erfüllung. Dritter Teil, Solothurn und Düsseldorf, 209f. Drewermann bezieht sich hier auf Kierkegaard, Sören (1964): Philosophische Brocken, oder: Ein bisschen Philosophie (erschienen 1864), übersetzt von Ludwig Richter, in: Werke V, Hamburg, 52-65.

[4] vgl. [online] https://www.deutschelyrik.de/betrachtung-der-zeit.html [08.11.2023]