Dritter Fastensonntag – Umhauen? oder: (Sich) Sicher sein!

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Woher wir kommen…

Drei Stationen eines Weges durch die österliche Bußzeit haben Sie mit Jesus hinter sich: Sie sind – wie er – zur „rechten Zeit“ gestartet (Aschermittwoch), Sie konnten sich – wie er – „klar werden“ über den Inhalt Ihrer Sehnsucht bzw. über das, was Sie versucht (Erster Fastensonntag), und Sie haben – wie er – innerlich die Erfahrung des „klar seins“ für sich und anderen gegenüber gemacht (Zweiter Fastensonntag). Der Sonntag heute nimmt die immer wieder bittere Erfahrung in den Blick, dass es bei dieser Klarheit, bei dieser Transparenz und Durchsichtigkeit der Persönlichkeit nicht bleibt, das Selbstzweifel und Angst vor dem eigenen Ungenügen laut und lauter werden.

In der Verkündigung Jesu wird diese Angst und dieser Zweifel im Bild eines Feigenbaums beschrieben, der keine Frucht (mehr) trägt:

„Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu einem Winzer: ‚Siehe, jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen?‘ Der Winzer erwiderte: ‚Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen.‘“ (Lk 13,6-9)

» Jesus ging es darum, durch das Vertrauen in die unbedingte Güte Gottes überhaupt erst die Möglichkeit eines ‚Gutseins‘ in moralischem Sinne zu schaffen; endlich sollte damit Schluss sein, dass Menschen im Schatten des Gesetzes glauben mussten, allein auf Grund ihres Rechtsverhaltens und der von ihnen erbrachten Leistungen zum Dasein zugelassen zu sein. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukas-Evangelium Bd.1: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 109.

Wo wir stehen…

Nochmal zurück: Der Standpunkt ist klar: Da mag es die Erinnerung, vielleicht sogar das präsente Erleben des Tabors, des Bergs der Verklärung geben – schulisch würde man sagen „sehr gut“, vielleicht sogar „Eins mit Sternchen“. Aber schnell holt uns das Erleben, die Erinnerung oder die Sorge, die Angst und der Selbstzweifel ein, die Note über meinem Leben scheint – wieder schulisch gesprochen – „mangelhaft“, wenn nicht gar „ungenügend“ zu sein. Nicht die anderen, Sie selbst schauen sich an, und entdecken: Keine Früchte! Keine Spur von fruchtbarem Leben. Das „haut mich um“ – Sie können es als beschreibenden Indikativ lesen, aber oft genug klingt auch der auffordernde Imperativ an. Resignation, Angst, Sorge, Ungenügen kennzeichnen den Menschen, der diesen Standpunkt einnimmt.

» Ein aufrechter Mensch wäre ein solcher Freund, der uns nicht nur unterstützt, sondern auch in der Lage ist, uns zu helfen, unsere eigenen Fehler zu erkennen. «
Khema, Ayya (2014): Nicht so viel denken, mehr lieben, Buddha und Jesus im Dialog, Uttenbühl, 4. Aufl., 25.

Wohin wir uns ausrichten…

Die Lehrrede des Buddha über die Liebende Güte, die während dieser Fasten- und Osterzeit ein parallel zu lesender Text zu den Evangelien ist, fragt in seiner ersten Zeile nach dem Ziel des Menschen: „Wem klar geworden ist, dass der Frieden des Geistes das Ziel seines Lebens ist…“ Dem Menschen, der den Standpunkt des unfruchtbaren Feigenbaums einnimmt, fehlt die Klarheit auf dieses Ziel hin. Das erste Ausrichten gilt diesem Ziel, dem Frieden des Geistes, dem Aufgehobensein in der liebenden und barmherzigen Güte Gottes. Das gilt es in den Blick zu nehmen – und dafür steht das Aufgraben und Düngen des Bodens im Gleichnis, als Alternative zum Verharren und Verhärten auf einem letztlich tödlichen Standpunkt. Dieser Mensch sei „fähig, aufrichtig und freimütig“. Es geht im Buddhismus um die fünf spirituellen Fähigkeiten: „Achtsamkeit, Vertrauen, Weisheit, Willenskraft und Konzentration. Diese sind uns innewohnenden Fähigkeiten, die es uns ermöglichen, das Weltliche zu transzendieren und unsere spirituelle Natur zum Höchsten zu entfalten.“ [1] Das ist auf dem Weg Ostern entgegen in dieser Woche das Angebot: die eigenen fünf spirituellen Fähigkeiten aufrichtig und freimütig zu Hilfe zu nehmen, um sich auszurichten und wegzubewegen von einem Standpunkt, der Leben und Lebendigkeit verhindert – für mich selbst und für andere.

» Es ist der große Trost in meinem Leben: Was immer ich in meinem Leben nicht bin, was immer ich dir nicht bin – ich bin genug, dass ich bis jetzt von dir geliebt werde. «
Schlink, Bernhard (2021): Die Enkelin, Zürich, 129.

Sich lieben lassen

Bernhard Schlinks Roman „Die Enkelin“ erzählt zu Beginn die Geschichte von Kaspar und Birgit. Er ermöglicht ihr 1964 die Flucht aus der DDR, sie leben kinderlos in Westberlin. Ein Kind hat Birgit nach der Geburt im Osten weggegeben, um in den Westen zu können. Sie wurde im Laufe der Jahre Alkoholikerin, litt an Depressionen, liebte Musik und Literatur und hoffte, einmal einen Roman schreiben und veröffentlichen zu können. Nach Birgits Tod und nach ihrer Beisetzung findet Kaspar ein Manuskript, überschrieben mit „Ein strenger Gott“, der einer Biografie Birgits nahekommt. Kaspar entschließt sich, das Manuskript zu lesen. Die ersten und die letzten Sätze dieser Biografie rahmen diese Überlegungen zum Gleichnis vom Feigenbaum. Die letzten Sätze, das Finale, möchte ich Ihnen in weitergeben, weniger als in Worten, mehr als Erfahrung und Erleben. Die schönsten Sätze, die ich in diesem Jahr bisher las, und die ich anderen vorlesen durfte!

„Wer wäre ich geworden, wenn ich geblieben wäre?“[2] – Und dann das Finale:

„Manchmal sehe ich dich an, wenn du mich zu Bett trägst und aufs Bett legst, ich dabei aufwache, es dich aber nicht merken lasse. Dann sitzt du auf dem Hocker und hast den Blick auf mich gerichtet, aber träumst. Träumst du von den Kindern, die wir nicht hatten, von der Gefährtin, die ich dir nicht war, von der Frau, die ich wäre, wenn ich nicht trinken würde? Oder träumst du von der jungen Frau, in die du dich verliebt hast? Du liebst mich immer noch, ich weiß. Es ist der große Trost in meinem Leben: Was immer ich in meinem Leben nicht bin, was immer ich dir nicht bin – ich bin genug, dass ich bis jetzt von dir geliebt werde.“[3] 

So sei es – Amen!

Köln 19.03.2022
Harald Klein

[1] Khema, Ayya (2014): Nicht so viel denken, mehr lieben. Buddha und Jesus im Dialog, 4. Aufl., Uttenbühl, 22.

[2] Schlink, Bernhard (2021): Die Enkelin, Zürich, 53.

[3] a.a.O., 129.